Nachdem ich im Notaufnahmelager etwas Zeit hatte, machte ich mich an meine erste Patentanmeldung in Freiheit. Eine billige Schreibmaschine kaufte ich im Vorbeigehen. Es war zufällig die gleiche, für die ich im Osten jahrelang gekämpft hatte. Am 1. Mai 1978 - und zu dessen "Ehren" - schickte ich meine Patentanmeldung nach München - das erste Mal als stolzer Bundesbürger. Niemand konnte meinen Brief mehr abfangen. Am 3.5.1978 wurde meine Patentanmeldung "Ringflügler (Ringflügel-Schwebeflugzeug" beim Deutschen Patentamt registriert und bekam das Aktenzeichen P 28 19 421.0 (siehe Empfangsbescheinigung in Anhang 4 ). Die Patentanmeldung ist in Anhang 5 - 9 . Nachdem sich die Genossen des SSD so viel Mühe gegeben haben, an diese Unterlagen zu kommen, tue ich heute im Jahre 2000 ihnen den Gefallen und veröffentliche sie. Sie hätten meinen Garten in Schulzendorf noch mehrmals umgraben können; sie hätten sie nicht gefunden, weil es sie damals noch gar nicht gab. Es war die "Erfindung ", die ich beim SSD in Potsdam während der Untersuchungshaft gemacht hatte, als ich merkte, dass sie mich statt in den Westen, in eine Irrenanstalt abschieben wollten. Ich suchte damals verzweifelt nach einem Ausweg. Das Ungeheuer des Sozialismus war dabei, sein nächstes Opfer zu verschlingen. Ich brauchte damals einen fetten Brocken, den ich den Kommunisten in ihr weit aufgerissenes Maul stecken konnte, sonst wäre es mir so wie vielen anderen Physikern ergangen, und keiner hätte je wieder etwas von mir gehört. Diese Idee war in größter Not entstanden. Ob sie sich praktisch verwirklichen ließ oder nicht, spielte dabei überhaupt keine Rolle. Die Frage war damals nur, ob die Genossen es schluckten - oder nicht, ob sie mich ins Irrenhaus brachten - oder nicht. Sie hatten es geschluckt und ich hatte das Schlimmste verhindern können. Seitdem hatte ich allerdings noch ein anderes Problem: jetzt wollten sie dafür meine "fliegende Untertasse" haben, um ihren drohenden Untergang abwenden zu können.

Die ersten Monate in Freiheit wollte ich selber erst einmal wissen, wie tragfähig die Sache eigentlich war. Nur Experimente können diese Frage beantworten. Nur die Natur kann einem mit Bestimmtheit sagen, ob etwas funktioniert oder nicht. Also baute ich mein erstes Modell - aus Pappe, dem Material, das ich im Notaufnahmelager zur Verfügung hatte.

Bevor ich über diese Idee ernsthaft sprach, wollte ich mich selber mit der Sache etwas beschäftigen, d.h., experimentieren, recherchieren und Meinungen einholen.

 

Mein Ringflügler in Pappe im Notaufnahmelager in Berlin-West. Das Kofferradio im Hintergrund wurde mir später vom SSD gestohlen.

Ich schrieb Briefe an verschiedene Stellen, so zum Beispiel an MBB (Messerschmitt-Bölkow-Blohm) (Anhang 10 ). Die Technologie-Vermittlungs-Agentur in Berlin nahm für mich weitere Kontakte auf (Anhang 11 ).

Dabei ergab sich folgendes: Versuche, bewegte Luft über einen stationären Tragflügel zu leiten (Coanda Effekt) sind gemacht worden und zeigten einen um 35% geringeren Wirkungsgrad als wenn man den Luftstrom einfach nach unten richtet, um Auftrieb zu erzeugen. Ich hatte das befürchtet, deshalb hatte ich schon vorher einen anderen Weg eingeschlagen. Ich versuchte, beide Effekte so zu kombinieren, dass ein besserer Wirkungsgrad herauskommt, als bei den Einzeleffekten, d.h., zuerst wird schnelle Luft über einen Tragflügel geleitet und dann, wenn der Luftstrom langsamer und größer geworden ist, wird er nach unten abgelenkt. (Ein langsamer Luftstrom mit mehr Masse ist mehr effektiv, als ein kleinerer mit einer hohen Strahlgeschwindigkeit. Es ist ein Jonglieren mit dem Impulssatz und anderen Gesetzen, um die optimale Konfiguration zu finden. Dieses könnte aber nur in Experimenten gemacht werden.

Da die prozentualen Anteile der Reibungsverluste mit der Größe abnehmen, würde man also die besten Wirkungsgrade mit großen Fluggeräten erzeugen können, z.B. bei Startgewichten über 1000 Tonnen. Ein Bündel von Triebwerken würde über dem Fluggerät einen Unterdruck wie in einem Tornado erzeugen, an dem sich das Fluggerät hochzieht. (Exakt gesprochen - natürlich hoch drückt, weil es einen "Unterdruck" genau genommen gar nicht gibt.) Verblüffend ist, dass es, obwohl ich es von innen heraus konstruiert hatte, so aussieht, wie viele eine "Fliegende Untertasse" gesehen haben wollten.



Die erste Skizze meines Ringflüglers

So könnte vielleicht eine Versuchsanordnung aussehen, mit der man verschiedene Effekte einzeln messen könnte. (Heute würde ich die Sache allerdings anders angehen. Das hier Gezeigte entspricht dem Stand von 1978.) Dann könnte man die verschiedenen Parameter so lange ändern, bis die optimale Konfiguration erreicht ist. Am Ende sollte ein senkrecht startendes und landendes Fluggerät herauskommen, das zwei Effekte benutzt und höhere Startgewichte hat als ein Hubschrauber, weil die physikalische Grenze eines Rotors weggefallen ist.

Wenn es gelänge eine geeignete Rückführung eines Teiles des Luftstroms dazu zu benutzen, um einfache Staustrahltriebwerke am Leben zu erhalten, brauchte man gewöhnliche Triebwerke nur zum Anwerfen. Dann würde ein Bündel von Staustrahltriebwerken die Arbeit übernehmen. So hätte das größte Flugzeug der Welt für den Schwebeflug die gleichen Triebwerke wie das bisher schnellste Flugzeug der Welt, die SR-71 oder black bird (übersetzt: schwarzer Vogel).

In Westberlin sprach ich in dieser Sache beim Institut für Luft und Raumfahrt vor. Experimente konnten aber nicht gemacht werden. Wo ich es auch noch versuchte, ich hatte keinen Erfolg. Ich mußte erfahren, dass die gesamte Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet in die USA verlagert worden war, weil es sich herausgestellt hatte, dass sich in Deutschland nichts geheim halten ließ. So hatten alle meine Aktivitäten keine Wirkung, nur beim SSD brach eine hektische Aktivität aus, wovon ich allerdings noch nichts wußte. Für mich war die Sache erledigt; ich hatte außerdem wichtigere Dinge zu tun. Wichtiger als jede Erfindung war für mich meine Familie. Um sie hatte ich noch zu kämpfen. Zunächst trafen wir uns in der CSR; dies war aber keine Dauerlösung.

Natürlich war mir von Seiten der "DDR" eine Wiedereinreise verboten worden. Mit kleinen Tricks schaffte ich es aber doch einige Male, einen Tagespassierschein zu bekommen.

Auf der Rückfahrt nahm ich auch ein paar persönliche Sachen mit, allerdings war ich mir nicht sicher, ob man sie mir an der Grenze nicht wieder abnehmen würde. Ich wollte auch meine Drehkolbenmaschine, die schon einmal kurz im Fernsehen zu sehen war, mitnehmen. Diese hatte mir Dr. Vogel aber schon in den Westen nachgetragen gehabt. (Ich dachte damals, dass das ein netter Zug von ihm sei; es war aber ein direkter Befehl von Hauptmann Wagner gewesen und hatte einen ganz bestimmten Zweck...)

 




Mein Sohn René vor unserem Grundstück in Schulzendorf. (Mein Renault im Hintergrund.)

 

Das mit den Besuchen konnte nicht lange gut gehen. Wenn schon die Grenzer nichts merkten - irgend jemand aus der Nachbarschaft könnte die Stasi alarmieren, dass sie mich gesehen hätten. Dies war aber unbegründet, niemand tat es, auch nicht der Polizist, der direkt gegenüber wohnte und der alte Beobachtungsposten gegenüber unserem Grundstück war unbesetzt seitdem ich weg war. Der Verrat meiner Besuche kam später aus einer ganz anderen Richtung.

 

Schließlich fand ich in Westberlin eine möblierte Wohnung am Bundesplatz. Da ich keinen Raum für eine Werkstatt hatte, stellte ich eine alte Drehbank auf dem Flur auf, wo neue Dinge Gestalt annehmen sollten.

Es kamen erstaunlich viele aus dem Zuchthaus Cottbus nach Berlin. Reiner Goltsch war aus meiner ehemaligen Zelle und besuchte mich oft. Ich dachte er wäre ein anständiger Kerl und ließ ihn auch in meine Wohnung. Er war zwar auch nur sehr kurz im Zuchthaus Cottbus gewesen, verhielt sich aber völlig unauffällig. Mir fiel jetzt nur auf, dass er immer politische Sendungen im Fernsehen sehen wollte und ich absolut nichts mit Politik zu tun haben wollte.



Die ehemaligen Zellengenossen mußten mich alle mögen, denn sie kümmerten sich alle rührend um mich. Als ich mit dem alten Renault nicht mehr in den Osten einreisen konnte, weil inzwischen das Nummernschild auf der Schwarzen Liste stand, borgte er mir seinen großen BMW, um am Wochenende damit nach Schulzendorf fahren zu können. Das fand ich sehr nett, denn es war ein großes Risiko für ihn. Seinen BMW hätte er dabei vielleicht nie wieder gesehen - wie ich mich irrte. Im September wollte er mit mir zum Formel 1 Rennen nach Monza und an die Riviera fahren. Er war Kraftfahrzeugmechaniker und liebte wie ich große Wagen. Ich freute mich schon darauf, auch einmal mit seinem BMW fahren zu dürfen. Kurz vor der Reise bestand er plötzlich drauf, dass wir mit meinem alten klapprigen Renault fuhren. Hier hatten wir unseren ersten Streit. Ich verstand ihn nicht. (Ich hatte auch keine Ahnung, dass dies von Hauptmann Wagner so befohlen worden war.)

Leider war ich zu leicht zu allem zu überreden und gab nach. Ich sehnte mich auch zu sehr nach der südlichen Sonne und dem Meer, das mir die Kommunisten mein ganzes Leben lang vorenthalten wollten.


Das erste Mal konnte ich solche Landschaften sehen und genoss es.
(Die Aufnahme ist aus dem fahrenden Auto gemacht.)



Niemand, der nicht selbst "lebenslänglich" als "DDR"- Bürger gehabt hatte, kann sich das befreiende Gefühl vorstellen, einfach in Orte reinzufahren, deren Namen man vorher nicht einmal auszusprechen gewagt hatte.


Das Rennen in Monza am 10.9.1978 begann mit einer Katastrophe. Vom Start sahen wir nur eine große Rauchwolke (Bild). Ein unqualifizierter Starter hatte grünes Licht gegeben, bevor die letzten Wagen zum Stehen gekommen waren, was in einer Katastrophe enden mußte. Die letzten Wagen versuchten das gesamte Feld beim Start zu überholen, was natürlich nicht gut gehen konnte. Peterson starb leider bei dieser Massenkarambolage. Mir war die Lust vergangen, ich wollte zurück zum Auto gehen, wir hatten sowieso keinen Sitzplatz mehr gefunden und außerdem keine gute Sicht. Reiner hielt mich aber mit allen Mitteln fest. So blieben wir bis zum Schluß an dieser Stelle. Ich merkte aber immer noch nicht, dass dies alles zu seinem Plan gehörte.

 

Als sich die Menschenmassen zurück zum Parkplatz wälzten fand ich meinen Wagen aufgebrochen und ausgeräumt. Meine Sachen waren alle weg, auch das Kofferradio, das ich mir schon im Notaufnahmelager gekauft hatte und auf dem Bild zusammen mit meinem Modell des Ringflüglers zu sehen war. Die Sachen von Reiner Goltsch waren eigenartigerweise überhaupt nicht angetastet worden. Ich sah außerdem, dass der Wagen gründlich untersucht und dabei teilweise auseinander genommen worden war. Dies wollte ich sofort der Polizei melden. Reiner hielt mich davon ab. Das wäre hier normal in Italien und er wollte hier weg. Jetzt dämmerte es mir langsam, dass er selbst mit der Sache etwas zu tun haben könnte.

Wir fuhren weiter, um das erste Mal im Mittelmeer zu baden. Es war herrlichstes Wetter und wir schliefen gleich am Strand. Wir waren ständig zusammen. Er machte auch viele Bilder von mir. Er selbst wollte aber auf keinen Fall fotografiert werden.

Ich machte aber doch wenigstens ein Bild von ihm, was er zähneknirschend hinnehmen mußte. Ich befürchtete, dass er sonst vielleicht nie mit mir in Italien gewesen war, wenn er später darüber befragt werden sollte.

Während dieser Reise hielt Reiner Goltsch die Verbindung zu seinen Genossen, die mein Auto ausräumten.

 

Reiner entfernte sich nur einige Male um etwas einzukaufen, wie er mir sagte. Er machte dabei aber auch noch andere Sachen. Langsam wurde mir klar, warum wir unbedingt mit meinem Wagen fahren mußten. Außerdem machten wir diese Reise offensichtlich nicht alleine. Seine Genossen waren ständig in der Nähe. Wir fuhren noch etwas die Riviera entlang; es war aber kein Urlaub mehr, bei dem man sich entspannen konnte. Irgendetwas Unausgesprochenes lag zwischen uns. Es mehrten sich verdächtige Dinge. Am Ende hat er sich durch sein schlechtes Gewissen selbst verraten. Nach dieser Fahrt distanzierte er sich von mir. Er konnte mir nicht mehr in die Augen sehen. Er war keiner der hartgekochten Offiziere vom Format eines Hauptmann Wagner.


Ein Agent aber kommt selten allein. Wenn einer ging war schon ein anderer da, der sich "liebevoll" um mich kümmerte. Es war wieder ein ehemaliger Zellenkamerad aus Cottbus, der ebenfalls nur kurze Zeit dort war. Er begleitete mich von Cottbus nach Westberlin, München und Frankfurt. Mir hatte er sich als Thomas (Tommy) Scheutzlich vorgestellt gehabt, wurde später aber unter dem Namen Wolfgang Grams bekannt und gesucht.
Er schien überall zuhause zu sein und jeden zu kennen.

 

Er machte mich mit anderen bekannt, so z.B. mit einer Gabi Ulig, einer netten Krankenschwester in Westberlin, die er - wie es schien - von irgendwoher kannte. Ich fand sie nett und ging mit ihr aus. (Meine Familie konnte ich nicht mehr besuchen. Ich bekam keine Einreisegenehmigung mehr.) Sie war einsam - ich auch - so nahm ich sie mit nach Hause. Alles war wunderbar, bis auf etwas, was sie mir nicht sagen konnte. Ich spürte, dass sie in irgendeinem Konflikt war. Heute weiß ich was es war. Sie sollte gegen mich spionieren und konnte es nicht tun. Sie war ein zu ehrlicher Mensch. Der SSD merkte das auch, und wollte uns deshalb wieder auseinander bringen.

 


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