Roter Terror in Point West

 

Der ganzen Welt konnte der Tod von Bert Herman als natürliches Herzversagen verkauft werden, nur dem Erfinder nicht. Er war die einzige Gefahr für den KGB. Eine offizielle Untersuchung war leicht zu verhindern gewesen, auch irgendwelche Veröffentlichungen, nur nicht, daß der Erfinder mit einem Spruch an seinem Garagentor die Genossen gegenüber seinem Haus als Agenten des KGB brandmarkte, indem er es an sein Garagentor schrieb. Dies war ein unhaltbarer Zustand. Die Genossen des KGB beschlossen, daß bis zum Jahresende 1995 das Problem mit dem Erfinder gelöst werden sollte...

 

Nach der Ermordung von Bert Herman durch den KGB rannte ich von Pontius zu Pilatus, um die Offiziellen darauf aufmerksam zu machen, daß im Jahre 1995 der KGB - in eigenem Auftrage - immernoch Morde begeht.

Den KGB gab es aber für die Offiziellen nicht mehr, also auch keine Morde des KGB - ergo auch nichts zu untersuchen, war ihre logische Kette. Vor einigen Jahren hätte ich vielleicht noch Hilfe gegen kommunistische Mörderbanden bekommen, aber jetzt nicht mehr. Der Kalte Krieg war offiziell vorbei. Die Beamten hatten die Akten geschlossen. Das Wort "KGB" hatten sie schon aus ihrem Vokabular gestrichen. Es gab ihn einfach nicht mehr - basta.

Ich konnte die Genossen lachen hören. Sie hatten nun völlig freie Hand; niemand würde auch nur einen Finger rühren, wenn man meine Leiche eines Tages finden würde. Es war ja nicht schwer zu erraten, wer der Nächste sein sollte.

Ich hätte immer nur von meinen "Nachbarn" reden sollen, die in den Mord verwickelt wären. Dazu war es jetzt aber zu spät, denn überall wußte man schon Bescheid: Bei der Polizei nahm man meine Anzeige gar nicht erst auf, beim Büro des Scherif's empfahl man mir, die Geschichte doch lieber meinem Arzt zu erzählen...

Wenn ich so weitermachte, würde man mich eines Tages für verrückt erklären. Das wäre sicherlich für viele ein willkommener Akt. Die Genossen würden Beifall klatschen.

Ernster war aber die Tatsache, daß ich nach der Ermordung von Bert Herman der Einzige war, der die Killer des KGB entlarven und dem Gesetz zuführen konnte.

Inzwischen war auch mein Vater gestorben. Er hatte mich schon als als Kind an den SSD verkauft gehabt und steckte tief im sozialistischen Sumpf; ob er aber den Befehl zur Ermordung seines eigenen Sohnes mit unterstützt hätte, bezweifle ich, obwohl das unter "wahren Kommunisten" oft vorgekommen ist. Jetzt brauchten seine Genossen jedenfalls keine Rücksicht mehr auf ihn zu nehmen. Ich mußte etwas tun, was den Ermittlern wenigstens zu denken gab, wenn sie meineLeiche fänden. Ich setzte den Genossen vor meinem Haus, die mich immernoch observierten, ein KGB-Schild direkt vor die Nase, und zwar genau nach dem Todestage meines Vaters, obwohl ich noch gar nicht wußte, daß er gestorben war.

Das Schild war am nächsten Morgen verschwunden; es mußte also wirken.

Als nächstes klebte ich einen KGB-Spruch an mein Garagentor. Dies war nicht mehr so leicht zu stehlen.

 

Vielleicht würden die Genossen jetzt verschwinden, hoffte ich. Durch die Schrift an der Wand wurde aber nur die Polizei angelockt. Sie kam auch zu mir rein, aber nur um mir wieder zu erklären, daß es den KGB nicht mehr gäbe...

 

 

 

 

 

 

Vor meinem Haus ging der Kleinkrieg weiter. Sämtliche Aktivitäten wurden von meinem Nachbarn James Cassidy weiterhin scharf beobachtet. Nichts entging ihm. Wenn er mal nicht da war, übernahm sein Vorgesetzter Robert Somerville die Wache. Niemand konnte und kann mich besuchen, ohne vom KGB gegenüber registriert zu werden. Der Leser könnte dies selbst testen, wenn das Erscheinen dieses Buches auch nichts ändern sollte.

Daß ich spätestens nach dem Mord an Bert Herman ihre wahre Identität erkennen würde, war den Genossen gegenüber meinem Haus natürlich klar. James Cassidy war klar, daß ich jetzt wußte, daß er es gewesen war, der meinen Besuch in den Tod geschickt hatte. Das KGB-Schild zerstreute sicherlich die letzten Zweifel. Wenn ich aus dem Fenster sah, konnte ich ihn vor meinem Haus stehen sehen und ihn bequem fotografieren.

"Ein Genosse auf Wacht für den Frieden"

Genosse Cassidy versuchte mich offenbar einzuschüchtern. Ich sollte keine Wellen machen, sonst wäre ich der Nächste. Vielleicht hatte er bei meinem Vorgänger damit Erfolg gehabt. "Aber nicht mit mir, Genossen," hatte meine Mutter 1950 gesagt; ich sagte dasselbe 1995. Ich hätte auch wieder umziehen können, aber rückblickend muß ich feststellen, daß meine Situation nach jedem Umzug schlimmer geworden war; das war also keine Lösung. Wenn ich 1975 gewußt hätte, was auf mich draufzu kommt, wäre ich natürlich in meinem kleinen Häuschen in Schulzendorf geblieben. Ich hatte die Kommunisten immer in ihrer Brutalität und Gemeinheit unterschätzt.

 

Trotz des Schildes, das ihn öffentlich als KGB-Agenten brandmarkte, versah er seinen Dienst pflichtgemäß weiter und blieb auf seinem Posten - an vorderster Front in diesem Kampf. Ein guter Genosse erfüllt seine Aufgabe, egal was der Klassenfeind (ich) tut.

 

Wir wußten nun beide Bescheid; alle anderen wußten natürlich nicht, was hier gespielt wurde. Mir gegenüber ließ er jetzt alle Vorsichtsmaßnahmen fallen und observierte mich so provokativ, wie er nur konnte. Er stand nur gerade so weit in seiner Garage, daß seine anderen Nachbarn neben ihm, ihn nicht sehen konnten. Seine Garage mit seiner ständig offenen Garagentür war seine Bühne und das, was er aufführte, nur für mich bestimmt. Ich sollte jeden Tag daran erinnert werden, daß ich im Fadenkreuz des KGB war. Die Auseinandersetzung mit dem KGB vor meiner Haustür wurde nun langsam eine offene Konfrontation. Mein Nachbar, der Genosse James Cassidy, zeigte mir nun alle seine Fähigkeiten. Ich konnte mich selber nicht mehr draußen sehen lassen, ohne daß er sofort raus kam. Ich kam nicht einmal mehr bis zum Briefkasten ohne, daß er sofort erschien. So wollte ich meinen Briefkasten in der Nacht leeren, wenn alles schlief. Das klappte auch nicht - er war immer da, am Tage oder in der Nacht.

Auch in der Nacht komme ich nicht einmal bis zu meinem Briefkasten, ohne daß Genosse Cassidy sofort auf der Bildfläche erscheint.

 

 

Er hatte sein Garagentor immer offen - auch in der Nacht, weil es zu lange dauern würde, es erst zu öffnen, wenn er schnell raus mußte. Wenn ich nach Hause kam, kam er auch sofort raus. Wie machte er das so schnell? Ich glaube nicht an Wunder, eher an ein kleines elektronisches Gerät, wie einen Öffner fürs Garagentor. Man hat diese kleine Fernbedienung im Auto und drückt sie schon, wenn man sein Haus in Sichtweite hat. Jeder kann dieses Signal empfangen, warum also nicht auch der KGB. Ich testete ihn, drückte nur meinen elektronischen Türöffner - und siehe da, mein Nachbar kam raus. Es war dasselbe als wenn ich seine Klingel gedrückt hätte. Wenn er das empfängt, empfängt er sicherlich auch noch andere Signale, die aus meinem Haus kamen. Ich war jetzt überzeugt, daß mein Telefon auch vom KGB abgehört wurde. Ich machte Tests. Ich unterbrach mit verschiedenen Methoden den Empfang eines angenommenen Senders und konnte ihn auch lokalisieren. Zu meiner Überraschung reagierte mein Nachbar James Cassidy nicht darauf; es war sein Nachbar Robert Somerville, der jedesmal rauskam, um nachzuschauen, warum er das Signal verloren hatte.

 

Die Antennen sind auf den Bildern schlecht zu erkennen, sie sind bzw. waren aber da.

 

Ich bat die Telefongesellschaft GTE um Hilfe, bekam sie aber nicht. Ich mußte später unter dem Vorwand, es sei was kaputt, jemanden zu mir herauslocken. Jetzt hatte ich einen Zeugen fürs gleiche Experiment; er unterbrach meine Telefonleitung und Sekunden danach kam R. Somerville raus. Irgendwo mußte also eine Wanze sein, soviel stand fest. Ich glaubte, daß die Telefongesellschaft sich drum kümmern würde oder sogar müßte. Das interessierte sie aber nicht. Ich konnte den Mechaniker nur dazu überreden, mein Telefon auf einen anderen Draht im Hauptkabel zu legen. Das half aber auch nichts. Ich suchte selber und fand einen Platz, wo der Sender an meinem Telefonkabel höchstwahrscheinlich heute noch ist. Als ich anfing zu graben, alarmierte das die beiden verdächtigen Nachbarn. Sie hatten eine kurze Krisenbesprechung. Dann packte Genosse Robert Somerville einige Campingsachen in sein Auto und verschwand sicherheitshalber für ein paar Tage. Er kam erst wieder, als ihm versichert wurde, daß nichts gefunden worden war. Die Reaktion des Genossen Somerville hatte mir gezeigte, daß ich auf der richtigen Spur war.Dies stimmt auch mit meinen anderen beobachtungen überein. Gleich bei meinem Einzug hatte ich zwei junge Männer in meinem Vorgarten graben und an meiner Telefonleitung arbeiten gesehen. Ich hatte mir damals aber nichts Böses dabei gedacht. Es hatte alles nach einer normalen Reparatur von GTE ausgesehen. Sie hatten wahrscheinlich die Abhöranlage installiert. Nachdem die Genossen gegenüber meinem Haus gesehen hatten, daß ich eingezogen war, hatten sie sie offenbar bestellt gehabt. Es waren Experten am Werk gewesen. (Der KGB nimmt immer nur die Besten.) Die Versorgungsspannung bekommt der Sender direkt aus der Telefonleitung. Als Antenne benutzten sie einfach die Telefonleitung, die aus der Erde kommend zu meinem Haus läuft. Der Sender brauchte keine hohe Leistung zu haben: der Empfänger war ja (und ist) gegenüber der Straße.

Die Telefongesellschaft GTE hatte mir versprochen, die Kabelverbindung zu öffnen und zu untersuchen, wenn ich alles ausgrabe. Sie weigerten sich dann aber doch - und ich durfte es nicht. Ich hatte ihnen auch angeboten, es zu bezahlen. Ich hatte auch versucht, einen Gerichtsbeschluß dafür zu bekommen. Das Gericht hätte aber über GTE keine Gerichtsbefugnis, wurde mir mitgeteilt. Die Reaktion der Offiziellen bedeutet praktisch eine Erlaubnis für den KGB, mich weiterhin abzuhören. Der KGB hat offenbar gewußt, daß sie so reagieren würden. Den Platz für ihre Abhöranlage hatten sie gut gewählt. Ich kann nichts dagegen tun. So arbeitet ihr Sender vielleicht heute noch.

(Inzwischen hat GTE mir meinen Telefonanschluss erneuert.)

 

 

Mit dem Mord an Bert Herman hatte mir der KGB die letzte Verbindung zur Gesellschaft zerschlagen. Ich saß nur noch zu Hause rum. Ich hatte niemanden mehr, für den ich arbeiten konnte - niemanden mehr, der sich für meine Erfindungen interessierte.

Ich mußte wieder von ganz vorne anfangen, meine Erfindungen an den Mann zu bringen. Ich wußte, daß telefonische oder briefliche Kontakte zu nichts führten. Ich mußte mir eine neue Taktik ausdenken. Heimlich packte ich meine Erfindungen in meinen Kofferraum und fuhr einfach los; das Land war groß. Der KGB konnte mir so unmöglich folgen. Telefonate machte ich von unterwegs aus. Ich hatte mich auf eine längere Suche eingerichtet, aber die erste Firma, der ich meine letzte Erfindung vorführte, war begeistert. Jemand holte sofort den Besitzer. Er kam und gab mir gleich einen Scheck für mein Funktionsmodell. Jetzt merkte ich deutlich, wie leicht es für mich alles wäre, wenn es nur die Kommunisten nie gegeben hätte. Leider machte ich in den nächsten Monaten wieder Telefonate zu dieser Firma von meinem eigenen Telefon. Die Sache entwickelte sich gut. Ich dachte schon, der KGB könnte mir nun nichts mehr anhaben; er konnte... Das Jahr 1995 ging zu Ende. Vor meinem Haus war immernoch knisternde Spannung. Wenn ich mein Haus verließ, dann fuhr ich nur noch zum Supermarkt oder zum Strand; immer dorthin, wo viele Leute waren. Es waren keine guten Plätze für ein Attentat, zumal - und das war die weiche Stelle des KGB - es unter keinen Umständen wie ein Mord Aussehen durfte. Der KGB wollte sich nicht mit einer Untersuchung ein neues Problem aufladen, wenn ich endlich erledigt worden wäre. So leicht wie Bert Herman sollten sie mich nicht bekommen.

Die Umstände zwangen sie, wenn sie mir was antun wollten, zu mir nach Hause zu kommen.

Am 27. Dezember 1995 sah ich einen verdächtigen Wagen in meinem Vorgarten. Er war direkt vor meine Küchenfenster gefahren, weshalb ich ihn auch gar nicht überhören konnte. Es war ein alter Wagen ohne Nummernschild. Zwei Männer saßen drin. Genauso wie das Team, das der KGB angeheuert hatte, um mein Stromkabel zu beschädigen, war es ein junger weißer und ein schwarzer Mann. Sie verschwanden aber schnell wieder und ich war schon dabei, die Sache wieder zu vergessen, als sie zurück kamen. Sie drehten wieder eine Runde in meinem Vorgarten und warteten dann auf irgendetwas. James Cassidy kam heraus, sie verständigten sich kurz und fuhren gemeinsam weg. Was hatte mein Nachbar mit diesen Typen zu tun? Eine Quelle, die ich nicht nennen kann, bestätigte mir,daß dies tatsächlich zwei Killer waren, die Genosse Cassidy für mich angeheuert hatte. Als sie mein Haus besichtigten, viel ihnen auf, daß es hinten von einer Mauer umgeben war. Sie wollten wissen, ob und was für Sicherheitsanlagen dahinter waren. Deshalb trafen sie sich mit James Cassidy um ihn danach zu fragen. Er wußte es nicht genau, also mußte jemand vorher über die Mauer, um alles zu erkunden. Genosse Cassidy hatte auch dafür jemanden.

 

Joe Eastern, ein Gehilfe des Genossen Cassidy, mit der Aufgabe Sicherheitsanlagen an meinem Haus zu erkunden, um den Weg für die Killer frei zu machen.

 

 

Am 29.12. 1995 12:30 Uhr kam Joe Eastern über meine Mauer, um etwaige Sicherheitsanlagen zu erkunden. Ihm ist gesagt worden, dass ich nicht zu Hause wäre. Da ich wusste wer mich beobachtet, war diese Meldung nicht ganz akkurat. (Es war auch nicht mehr viel Zeit, denn das Jahr 1995 - und damit auch die durch den KGB gesetzte Frist - gingen zu Ende.) Ich beobachtete gespannt die Szene, um herauszufinden was da vorsichging. Er erkundete etwa eine Stunde lang den gesamten Innenraum innerhalb der Mauer und suchte nach Einstiegsmöglichkeiten. Er brach aber nicht in mein Haus ein. Das war auch nicht seine Aufgabe gewesen.

Ich schickte noch am gleichen Tage ein Fax mit meinen Beobachtungen zur Polizei, die nicht darauf reagierte. Ich wußte aber, daß alles was durch meine Telefonleitung ging, gleichzeitig zum KGB ging. Als die Genossen mein Fax lasen, mußten sie das ganze Unternehmen wohl oder übel abblasen. Sie konnten unmöglich jemanden in der Silvesternacht ermorden, wenn der Bericht dazu schon vorher bei der Polizei war - geschrieben von dem Opfer selber.

Den Namen von Joe herauzufinden war nicht schwer. Alle kennen ihn. Er heißt Joe Eastern. Ich habe ihn später selber hier in Point West gesehen, nur die Polizei konnte ihn nicht finden. Es ist dasselbe wie mit Wolfgang Grams in Deutschland: "Alle kennen ihn, nur die Ermittler nicht", erinnere ich mich an eine Überschrift in einer deutschen Zeitung.

Es liegt einfach daran, daß die Methoden des SSD und KGB überall die gleichen sind. Sie machen nichts ohne Polizeischutz. Die Polizei ist hier genauso im Griff des KGB, wie die deutsche Polizei im Griff des alten SSD ist. Es hat sich nichts geändert; zumindest nichts für mich. Ich lebe praktisch immernoch unter sozialistischen Verhältnissen. Die Kommunisten versperren mir immernoch den Zugang zur Gesellschaft. Deshalb schreibe ich jetzt - obwohl ich kein Schriftsteller bin - dieses Buch.

weiter