Der "Verkehrsunfall"

 

Der SSD hatte den Erfinder wieder in einem komplexen Agentennetz gefangen. Er konnte praktisch keinen Schritt ohne den SSD machen, kein Telefonat führen oder einen Besuch empfangen, ohne daß der SSD dabei war, ja nicht einmal an den Strand gehen oder Tennis spielen, ohne daß der SSD mitspielte. Die Genossen waren ein vorbildliches Kollektiv und bildeten Schulter an Schulter einen geschlossenen Ring um "ihren Einstein".

Sie wollten aber noch mehr. Ein arrangierter Verkehrsunfall sollte gleichzeitig mehrere Probleme lösen. Der Wagen sollte wieder in eine Werkstatt, damit er nochmals untersucht werden konnte. (Wenn der SSD sich einmal in etwas verbissen hat, läßt er nicht mehr locker.) Außerdem sollte dem Erfinder eine Freundin untergeschoben werden, weil dies die bewährteste Informationsquelle war.

Damit sollte die kommende Operation Rotama vorbereitet werden, wobei der Erfinder endgültig gestoppt, und ihm seine letzte Erfindung entwendet werden sollte.

Sie erinnerten sich gut daran, wie ihnen Hildegard Manhard - eine ihrer besten Genossen - bei der Sabotage seiner Verwertungsbemühungen, beim Stehlen seiner Erfindung und beim anschließenden Verkauf seiner Erfindung geholfen hatte. Unglücklicherweise erinnerte sich der Erfinder auch daran...

 

Es ist Sommer 1991 und mich zieht es - wie jeden Berliner - an den Strand. Ich fahre von meinem Haus in "Village Green" eine schnurgerade Straße nach Westen und bin in 10 Minuten am Strand . Bradenton liegt an der Westküste von Florida, am Golf von Mexiko. Dort liege ich dann träumend im und am Wasser und lasse die Wolken mit dem Rest der Welt an mir vorüberziehen.

Auf der Rückfahrt am 20. Juli 1991 geschieht es dann.

Jemand fährt ohne ersichtlichen Grund von hinten in mein Auto rein. Auf den ersten Blick ist es ein normaler kleinerer Unfall, wie er tagtäglich vorkommt. In irgendeinem Ordner bei der Polizei schlummert ein unbedeutender Unfallbericht. Von offizieller Seite wurde nie irgendetwas ermittelt Niemand findet etwas Ungewöhnliches daran, wie bei allen Dingen, die vom SSD arrangiert werden...

Nach dem, was ich selber rekonstruiert habe, hat sich die ganze Sache höchstwahrscheinlich folgendermaßen zugetragen:

Alles begann immer damit, daß sich direkt vor meinem Haus ein Beobachtungsposten befand.

 

Der Mann, der mein Haus nie aus seinen Augen ließ, sah mich wegfahren und wußte aus Erfahrung, daß ich wieder zum Strand fuhr. Es war mein Nachbar Ron Muller schräg gegenüber meinem Haus in Village Green in Bradenton. Nachdem ich außer Sichtweite war, machte er wieder einen seiner regelmäßigen kurzen Anrufe. Danach tauchte dann regelmäßig 20 Minuten später am Strand ein Mann auf, der mich nicht mehr aus den Augen ließ. So war es auch an diesem Tage, dem 20. Juli 1991.Schon als ich ein Jahr zuvor in Florida eintraf hatte er sich meine Aufmerk-samkeit zugezogen, weil er - direkt vor meiner Nase - die schönsten Sandburgen gebaut hatte.

Ich ging ihm seit langem aus dem Wege, weil er gar keinen Hehl daraus machte, auf welcher Seite er war. Er setzte sich aber trotzdem provokativ immer wieder in meine Nähe.

Als ich an diesem Tage den Strand verließ, weil ein Gewitter aufzog, machte er wieder ein Telefonanruf; diesesmal zu jemandem, der in einem Haus an meiner Strecke wartete und die kommende Aktion leitete. Das Gebäude war eine Ausleihstation für alle möglichen Wasser-fahrzeuge, Gaststätte und Spielkasino.

Dort sollte es geschehen.

(Wer das war, der die ganze Aktion von dort aus leitete, konnte ich nicht mit Sicherheit herausfinden. Wahrscheinlich war es ein Deutscher, der Mitbesitzer dieses Geschäftes war und immernoch ist; ein Mann, der außerdem noch bei der Polizei von Bradenton zu Hause war und

ist. Wahrscheinlich derselbe, der später der Polizei beim Vertuschen eines Mordes behilflich war.) Er konnte vom ersten Stock aus die ganze Szenerie übersehen: die Straße zum Strand, die Ausfahrt, wo jemand in einem Wagen mit laufendem Motor auf das verabredete Zeichen von ihm wartete, und auch den Polizeiwagen, der direkt vor diesem Gebäude parkte. Zu dieser Zeit fuhren alle vom Strand nach Hause, denn es zog gerade ein Gewitter auf. Ich fuhr inmitten einer langen Kolonne. Als ich mich dem Gebäude näherte, merkte ich erst gar nicht, daß der Wagen hinter mir den ganzen Verkehr hinter sich verlangsamte, sodaß hinter mir eine große Lücke entstand. (Überholen konnte man hier nicht, weil die Straße nur noch einspurig war.) In die entstandene Lücke fuhr der Wagen, der in der Ausfahrt gewartet hatte. Jetzt ging alles ziemlichschnell. Jemand, der einige Wagen vor mir fuhr, stoppte den gesamten Verkehr, so daß ich am Ende der Autoschlange fast direkt vor dem besagten Gebäude zu stehen kam. Sie verschätzten sich nur um ein paar Meter. Solch ein Stop war nichts Ungewöhnliches. Es geschah hier öfters, auch Auffahrunfälle, weil manche keinen genügend

großen Sicherheitsabstand zu ihrem Vordermann lassen. Jeder kennt das Problem. In einem solchen Falle bremse ich immer sehr vorsichtig und schaue gleichzeitig in den Rückspiegel. Ich war überrascht, daß hinter mir niemand mehr war, außer dem Wagen, den ich in der Ausfahrt gesehen hatte, der jetzt etwa 100 Meter hinter mir war.

Da ich genügend Sicherheitsabstand gehabt hatte, konnte ich mir den Luxus leisten, meinen Wagen langsam ausrollen zu lassen. Ein zweiter Blick in den Rückspiegel war alarmierend, denn ich sah, daß der Wagen, der aus der Ausfahrt herausgekommen war, immernoch beschleunigt. Der Fahrer gab offensichtlich Vollgas. Der beschleunigt ja wie ein Rennfahrer, dachte ich. Wo will der denn hin? Die Straße ist vollständig zu! Ich war der letzte in der Reihe, der, den die Hunde beißen. Jetzt war er schon so schnell und so dicht an meinem Heck, daß er unmöglich noch halten konnte. Ich mußte etwas tun. Ich fuhr wieder an. Zum Glück hatte ich noch eine gute Wagenlänge zu meinem Vordermann, die ich meinem nun endlich bremsenden Hintermann als zusätzliche Bremsstrecke schenkte. Hinter mir quietschte es. Seine Reifen qualmten - dann Stille. Das ist gerade noch mal gut gegangen, dachte ich. Die Stille währte nur einen Bruchteil einer Sekunde, dann bumste es. Der Wagen hinter mir war doch noch in mein Heck reingefahren. An seinem Wagen war kein Schaden. Meine Stoßstange war etwas verbogen. Warum hat er das gemacht, dachte ich, ich hatte ihm doch genug Platz gemacht. Das war doch gar nicht mehr nötig gewesen. Ist er wieder von der Bremse gegangen? Hatte er es gar mit Absicht getan? Ehe ich aussteigen und mir die Bremsspur betrachten konnte, war schon die Polizei mit einem Wagen da. Es dauerte nur einige Sekunden nach diesem Unfall, dann war die Polizei zur Stelle.

(Da sage noch jemand etwas gegen die Polizei!) Ich wollte den jungen Fahrer fragen, warum er in mich hineingefahren war, da wurde er schon von dem Polizisten vernommen. Der kann das sicherlich viel besser als ich, denn er mußte die ganze Sache außerdem gesehen haben. Ich hatte ja auch den Polizeiwagen vor dem Gebäude stehen sehen.

 

Wenige Sekunden nach dem Unfall war die Polizei zur Stelle.

 

Die Fotos zeigen den Wagen, der in meinen Mercedes hereingefahren war. Die Bild er hatte ich sofort nach dem Unfall aufgenommen. Es rannten plötzlich so viele junge Kerle herum, daß ich nicht wußte, wer alles in dem Wagen gewesen war.

Im Unfallbericht der Polizei Nr. 830936852 vom 20. Juli 1991 (Anhang III 2) steht als Unfallgegner der Name: Antony Adam Hoffman, 20 Jahre alt, aus Riverview, einem Ort nördlich von Bradenton. Sein Wagen war von Joseph F. Gaskill geborgt. Es war ein japanischer Suba mit dem Nummernschild GPW 91A.

Als Zeit des Unfalls ist 14:17 Uhr eingetragen und als Zeit des Eintreffens der Polizei 14:18 Uhr, also eine Minute später, genauer gesagt, nur wenige Sekunden nach dem Unfall.

Damit war der Vorfall abgelegt und die ganze Sache erledigt.

Ich wußte nicht recht, was hier gespielt wurde. Wenn es wirklich nur ein Unfall gewesen war, blieb die Frage offen, warum der junge Fahrer, der offensichtlich in nichts behindert war, auf meinen Wagen aufgefahren war? Er fuhr ja nicht zu dicht hinter mir, was ein Grund gewesen sein könnte. Es gab einfach keine logische Erklärung für das, was er getan hatte. Wenn es mit Absicht geschehen war, was war der Zweck?

Wenn sie mich auf diese Weise umbringen wollten, mußten sie schon mit einem schweren Laster kommen; und nicht einmal das wäre sicher. Der SSD weiß sicherlich von meinem Vater, daß ich soetwas schon einmal überlebt hatte, als mich ein Russenlaster 1945 in Erfurt überrollt hatte.

Ich hatte den ganzen Vorfall schon fast vergessen, als ich einen Brief ( Anhang III 3) von einer mir unbekannten Arztpraxis bekam. Mir wurde ein kostenloser erster Besuch angeboten, um meine Genickschmerzen zu kurieren, die ich von dem Unfall haben könnte. Ich hatte keine von dem Unfall, aber permanente, was außerdem nicht neu war. Vielleicht ist das der Doktor, der mich kurieren kann. Also vereinbarte ich einen Termin. Als ich das Wartezimmer betrat, saß dort - wie zufällig - ein bereits mir bekannter Spion des SSD und grinste mich an. Es war der Mann, der mir gleich beim Eintreffen in Florida vom SSD als "Betreuer" untergeschoben worden war. Nun half er mir bereitwillig beim Ausfüllen aller Formulare für den Orthopäden Dr. Fliss. Dann kam die Krankenschwester, die mich ins Arztzimmer rief. Mir blieb der Atem stehen. Ich hatte irgend-jemanden im weißen Kittel erwartet. Vor mir aber stand ein bildhübsches Mädchen, voll geschminkt und in einem Kleid, daß man mehr als Abendkleid ansehen mußte als eine Arbeitsbekleidung einer Krankenschwester. Sie machte mir Augen, die mich zu allem einluden, aber nicht zu einer Arztbehandlung.

Das war es also, ging mir endlich ein Licht auf. Ich ließ sie in ihrem Abendkleid ihren Dienst tun - und sagte kein Wort. Ich sah sie noch ein paar mal in dieser Praxis, aber dann nur noch in schlichter Aufmachung.

Eines Tages begrüßte mich eine neue Krankenschwester, die mich gleich selber ansprach und mit mir ausgehen wollte. Der SSD kann ja nicht gleich zwei Eisen im Feuer haben, dachte ich und ging mit ihr aus, dann wollte sie zu mir nach Haus'.

 

Das Ergebnis des Verkehrsunfalls machte sich schon auf meinem Mercedes breit. Ich wurde sie kaum wieder los, aber ich mußte, denn es stellte sich heraus, daß sie gerade erst in diese Gegend gezogen war, und zwar erst nachdem ich bei Dr. Fliss gewesen war. So brachte ich sie zurück in ihre immernoch leere Wohnung und ließ sie sitzen. Der "Verkehrsunfall" hatte endlich sein Ende gefunden.

Der geneigte Leser wird sich vielleicht fragen, warum der SSD nicht eine einfachere Methode hatte, um mir eine seiner Agentinnen als Freundin unterzuschieben. Sie hatten es ja oft genug probiert. Gertraud McGrede hatte es zweimal probiert. Andere hatten ein Mädchen aus Deutschland herangeschafft gehabt. Sie haben es auch später noch probiert, indem sie mir meinen Typ am Strand direkt vor die Nase setzten...

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