Meine zweite "Flucht"
Mit meinen Erfindungen unterm Arm war ich lange kreuz und quer durch die "DDR" gefahren. Die Industrie wollte teilweise sogar - durfte aber nicht. Als letztes wollte ich es bei Forschungsinstitutionen versuchen. So glaubte ich immer noch in meiner unzerstörbaren Naivität, dass ein Institut für Verbrennungsmotoren für die Entwicklung eines neuen Verbrennungsmotors zuständig wäre. Als ich in Dresden im Institut für Verbrennungsmotoren mit meinem neuen Drehkolbenmotor auftauchte, weigerte sich zu meiner Überraschung jeder, ihn sich überhaupt anzusehen. Normalerweise treibt die Neugierde einen wenigstens so weit einen Blick darauf zu werfen, was da ein Erfinder mitgebracht hatte. In diesem Falle hatte jemand aber offenbar das ganze Institut gut auf meinen Besuch vorbereitet. Man warf mich samt meiner Erfindung raus, ohne sich das Geringste angesehen zu haben. Die warten scheinbar auch so lange, bis eine westliche Firma meine Erfindungen aufgreift, bevor sie sich damit überhaupt beschäftigen. Wutentbrannt fuhr ich geradeaus weiter über Dippoldiswalde, bis ich an einem Schlagbaum halten mußte. (Die "DDR" war so konstruiert, dass man überall an einen Schlagbaum geriet, auch wenn man gerade keinen suchte.) Es war die Grenzübergangsstelle Zinnwald im Sommer 1975. Ich brauchte nichts zu sagen, nichts zu tun. Die Beamten machten automatisch das, was sie gelernt hatten. Sie verhafteten mich. Grund: ich hatte gefährliches Schrifttum bei mir. (Ich hatte ja alles bei mir, was ich in dem Institut zeigen wollte.) Es war diese Patentschrift meines Motors. Ich erklärte Ihnen, dass es nur meine eigene Patentschrift sei, ich also kein Staatsgeheimnis hinaus trüge. Das machte sie nur noch wütender. (Erst viele Jahre später begriff ich. Sie hatten mich gerade deshalb verhaftet, weil es meine eigene Patentschrift gewesen war!) Ich wurde auf die Polizeiwache in Zinnwald gebracht. So weit so gut, alles lief ab wie am Schnürchen. Das geschah ihnen recht, dass sie mich jetzt einsperren und an den Westen verkaufen müssen! Sie wollten mich ja nicht - jetzt wollte ich sie auch nicht mehr. Jetzt müssen die Kommunisten ihren Sozialismus ohne mich weiter machen. Nach etwa 9 Monaten - so sagten es die Gerüchte - würde ich mit meiner Familie ausreisen können. Dann kann ich auch endlich in Ruhe meine Erfindungen auf den Markt bringen. Danach würden auch die Betriebe in der "DDR" anfangen und meine Erfindungen würden auch endlich in der "DDR" gebaut werden. Dann könnten endlich DDR-Bürger meine Erfindungen kaufen. So funktionierte es also. Das war der Weg einer Erfindung im Sozialismus. Jetzt hatte ich es endlich begriffen. Jetzt war ich endlich auf dem richtigen Gleis, wo es in Richtung Westen ging. Ich musste nur noch warten, was nichts weiter als die Hauptbeschäftigung eines "DDR-Bürgers" war.
Ein Polizist riss mich aus meinen Träumen. "Sie können gehen", sagte er trocken. Waaas? Ich verstand die Welt nicht mehr. Wo bleibt hier die Gerechtigkeit, die Faust der Arbeiterklasse gegen Subjekte wie mich?
Die Erklärung ist einfach, wenn man die Struktur der "DDR" kennt. Die Polizei hatte überhaupt nichts zu sagen. Sie hatten nur auf die Befehle vom SSD zu warten. Dieser gab ihnen den Befehl, mich wieder nach Hause zu schicken. Die Freiheit in der ehemaligen "DDR" war so weit eingeschränkt, dass man von der Volkspolizei nicht einmal verhaftet werden konnte, wenn es der SSD nicht wollte. Dies wusste ich nun genau. Ich brauchte diese Erfahrung, denn ich zögerte die schlimmen Gerüchte zu glauben, dass wir von einer kriminellen Organisation regiert wurden. Für mich war das außerdem ein Beweis dafür, dass die Gerüchte über die Geheimverträge stimmten. Einmal aus politischen Gründen eingesperrt, durften sie einen nicht mehr nach Hause schicken, sondern nur noch in den Westen entlassen. Dies war das einzige Loch in der Mauer. Insofern war selbst der SSD nicht mehr der Herr im eigenen Hause. Sie verkauften jetzt die Leute in den Westen, mit denen sie nicht fertig wurden. Es war höchste Zeit, das sinkende Schiff zu verlassen. Es gab nun keine Zukunft mehr in der DDR, selbst wenn man bleiben wollte. Ich musste meine - und die Zukunft meiner Familie auf diesen Verträgen aufbauen, dies war meine einzige Chance. Das stand nun fest. Was in den Geheimverträgen stand, wusste offiziell nur der SSD. (Die wenigen anderen Genossen, die glaubten den SSD noch kontrollieren zu können, hatten keine Bedeutung. Der SSD verursachte eine so starke Strömung, die jeden mitriss - und einen Strudel, in dem nun ein ganzes Land versank.) Die vielen Spitzel im Volke brachten ihm auch Nachteile ein. Sie waren nicht mehr imstande, so etwas wie die Geheimverträge geheim zu halten. Der SSD war ein vielköpfiges Monster, das sich immer mehr aufblähte, weil es alles auffraß, was ihm vor die vielen Schnauzen kam. Niemand konnte es mehr aufhalten. Wenn einer es versuchte, wurde er auch nur gefressen. Am Ende könnte sich dieses Monster nur noch selber fressen, was die Kommunisten ja inzwischen auch bewiesen haben.
Auf der Fahrt nach Hause überlegte ich wie es nun weiter gehen sollte. Wer hätte gedacht, dass man in der "DDR" nicht einmal verhaftet werden konnte! Niemand hatte mir erklärt warum man mich wieder laufen ließ - warum sollten sie auch; sie hatten ja auch nicht erklärt, warum sie mich verhaftet hatten.
Aber den Ausweis hatte mir die Polizei weggenommen. Dafür bekam ich später einen sogenannten "PM12".
Mit diesem Ausweis (Formular PM12) für Fluchtverdächtige war ich gebrandmarkt. Da man in der ehemaligen
"DDR" überall den Ausweis vorzuzeigen hatte, war ein Leben mit einem PM12 unmöglich geworden.
Dies war ein zeitweiliger Ausweis (1Jahr) an dem jeder erkennen konnte, dass man gekennzeichnet war. Erst mit der Zeit merkte ich was es bedeutete: man war ein Staatsfeind mit amtlicher Bescheinigung - und so wurde ich auch von nun an behandelt. Jetzt wusste ich nun endlich wie die "DDR" ihre vielen Staatsfeinde erzeugt hat. Ich war wieder einen entscheidenden Schritt im Studium des Sozialismus weiter gekommen. Neue mögliche Arbeitgeber (meine Kündigung war nun nur noch eine Frage der Zeit und kam am Jahresende) konnte ich jetzt nur noch auf der Leipziger Messe suchen. Alle großen Firmen wie Mercedes, BMW und Siemens waren ja da. Die vielen SSD-Genossen, die dort mithörten, störten mich nun auch nicht mehr. Für sie war ich nun zur Zeitbombe geworden, die sie nun nicht mehr kontrollieren konnten. Ich fand Interesse für meine Erfindungen. Es sah sogar so aus, dass ich mit ihnen nicht nur meine Familie ernähren konnte, sondern auch Millionär werden könnte. Voraussetzung war bei allem nur, dass ich bei den betreffenden Betrieben selber vorbei schauen könnte...
Meine neue sozialistische Parole hieß also: Go west. (Wir lebten nun mal nur von Parolen, also machte ich mir meine eigenen.)
Mir blieb ja nun gar nichts weiter übrig. Ich war ja nicht der Erfinder, der seine Erfindungen den Kommunisten nicht gegönnt hatte - ich war der Erfinder, den die Kommunisten nicht wollten. In meiner einfachen Logik dachte ich, dass man jemanden gehen läßt, wenn man ihn nicht mag. Die Kommunisten hatten aber auch hier eine andere Logik. (Dass der SSD meine Erfindungen schon vor mir im Westen verkauft hatte, dass es für meine Erfindungen schön längst andere Erfinder gab, ahnte ich ja nicht.)