Der technisch uninteressierte Leser kann die technischen Kapitel gerne überspringen.

Mein Dynamorädchen

Das Fahrrad war ein weit verbreitetes Verkehrsmittel im Sozialismus; allerdings nicht deshalb, weil die Kommunisten besonders umweltfreundlich gewesen wären. Dies war aus der Not geboren. Auch ich fuhr oft von Schulzendorf nach Berlin-Adlershof mit dem Fahrrad zur Arbeit. Bei Eis und Schnee wurde auch ich mit dem Problem konfrontiert, dass das Licht ausging, weil das Dynamorädchen durchrutschte. Die Rillen setzten sich zu, die Reibung zwischen Reifen und Dynamorädchen war nicht mehr hoch genug. Sie drehten sich nicht mehr, sondern pfiffen sich eins. Nur an dem pfeifenden Geräusch konnte man wahrnehmen, dass da noch ein Radfahrer unterwegs war.

Technische Probleme waren für mich alle lösbar, also baute ich ein Dynamorädchen, dass selbst bei völliger Vereisung noch sicher funktionierte. Hier ist es.


Die Schutzkappe ist hier abgenommen, damit man das Dynamorädchen sehen kann.

 

Ein derartiges Flügelrädchen hatte ich aus nicht rostendem Blech heraus geschnitten. Das Blech war gerade so dick, dass sich die Flügel beim Betrieb ein klein wenig durchbogen. Es ging auf Anhieb und hat nie seinen Dienst versagt, selbst bei völliger Vereisung oder im Tiefschnee, wo ich es auch getestet hatte. Ich hatte nun ständig mein Licht am Fahrrad und angenehm war außerdem, dass man die Anpresskraft des Dynamos am Reifen sogar noch verringern konnte. Die Reibung und Walkarbeit wurde so verringert. Man merkte es beim Treten.

Manche im Ort bauten sich das nach. Ich hörte keine Klagen, bekam allerdings selber Ärger - und zwar mit der Polizei! "Das ist nicht zugelassen", mit diesen scharfen Worten wurde ich samt meinem Dynamorädchen aus dem Verkehr gezogen. Ich brauchte eine "Betriebserlaubnis für Farradlichtmaschinen", speziell für dieses kleine Rädchen. (Versuchen sie einmal, so etwas zu bekommen!) "Stoppt den Erfinder", war die Parole der Polizei, denn dieses Rädchen fanden sie nun an immer mehr Fahrrädern. Die Sache griff wie eine Seuche um sich und musste sofort eingedämmt werden. Wehre den Anfängen, sagten die Kommunisten. (In der Tat wäre es nicht bei dem Dynamorädchen geblieben. Ich hätte - wenn man mich gelassen hätte - im Laufe der Jahre das ganze Fahrrad umkonstruiert.)

Damit war die Sache zu einer Polizeiangelegenheit geworden und schon gestorben. Was jetzt kommt war wieder nur das Zappeln eines Erfinders, der das Funktionieren des Sozialismus immer noch nicht verstanden hatte. Ich beschreibe es auch nur deshalb, weil es typisch für alle meine Erfindungen ist.

Ich dachte, dass es möglich sein sollte, die Industrie von einer Sache zu überzeugen, die nun schon jahrelang von einigen Leuten problemlos benutzt wird. Wie ich mich irrte...

Zunächst tauchten jetzt plötzlich böse Gerüchte auf, von denen sich eines durchsetzte. Mein Rädchen wäre zu scharf und würde den Reifen zerstören. Irgend jemand hatte irgendwo dieses Gerücht in die Welt gesetzt, ohne selbst irgend etwas getan-, geschweige denn getestet zu haben.

Dies fand ich persönlich ungerecht, weil - er selber unangreifbar, weil unbekannt - machte aus einem Erfinder mit einem Lufthauch einen Lügner (Da ich nie Geld genommen hatte, konnte man mir wenigstens nicht vorwerfen, dass ich auch noch ein Betrüger sei.) und Angeklagten, der nun seine Unschuld zu beweisen hatte. So hatte ich mir die Behandlung eines Erfinders nicht vorgestellt gehabt. Ganz einfach weil wir in einem Meer von Erfindungen schwimmen ohne unter zu gehen. (Versuchen sie doch mal - lieber Leser - nur einen einzigen Tag in ihrem Leben zu verbringen, ohne eine einzige Erfindung zu benutzen. Ich wäre gespannt auf die Ergebnisse.)

Ich begann mich zu wehren. Es galt also die Sache offiziell zu machen. Die Prozedur war folgende und wiederholte sich später viele Male: Ich stellte der Industrie kostenlos einen Prototyp meiner Erfindung zur Verfügung. Nach einiger Zeit kam ein Bescheid mit positiven Testresultaten.

Man bestätigte mir, dass sich der Reifenverschleiss durch mein Dynamorädchen nicht erhöhte. Das war außerdem das Letzte was ich hörte.

Hier konnte nur noch die Öffentlichkeit helfen, dachte ich. Ich schrieb auch eine Bastelanleitung für dieses Rädchen. Es erschienen auch einige kleine Artikel in einer Zeitung.



Andere wunderten sich nun auch, warum man hier keine Lösung finden kann. Und wenn sie nicht gestorben sind bzw. die ganze "DDR" nicht inzwischen untergegangen wäre, wunderten sie sich heute noch...

 

Auch später im Westen konnte ich diese Erfindung nicht verkaufen - die Kosten für ein derartiges Genehmigungsverfahren seien zu hoch...

Die Ängstlichen können aber wenigstens wieder ruhig schlafen. Die Polizei von Eichwalde hat die Menschheit vor dieser gefährlichen Erfindung gerettet und ihre Ausbreitung durch illegale Bastler verhindert.

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