Meine Internierung

Natürlich wollte von zu Hause weglaufen. (Wer möchte schon in einer Parteizentrale wohnen?) Ich hätte es auch getan, wenn ich nur gewusst hätte - wohin. Niemand wollte mich aufnehmen. (Wenn ich gewusst hätte, dass es ganz in meiner Nähe in West-Berlin Marienfelde ein Notaufnahmelager gab, wäre ich nächten Tag dort gewesen, aber so etwas traute sich niemand dem Sohn des Ortsparteisekretärs zu sagen.) Mein Vater fand wie immer die Lösung. Ich wurde interniert. Die nächsten 4 Jahre mußte ich hinter dicken Mauern verbringen. Es war der erste Teil des Paktes mit dem SSD, den mein Vater bzw. ich nun zu erfüllen hatten, wovon ich allerdings nichts ahnte. Ich wunderte mich nur, dass ich nicht in Blankenfelde zur Schule gehen durfte, wo meine Mutter Lehrerin gewesen war. Ich bekam dafür nie eine Erklärung.

Ich war der letzte, der von meinem Vater aus dem Hause gewiesen wurde. Ich war der Einzige, der mit dem Fahrrad zu seiner Internierung fuhr.

 

Der Parteisekretär von Blankenfelde, Dr. Kurt Willimczik, wurde als erster mit einem Auto bedacht; alle anderen hatten viele Jahre zu warten.    Meine Stiefmutter, Hildegard Willimczik geb. Högerle, in einem der ersten russischen Nachkriegsautos, Marke Moskwitsch. (Die Geschwindigkeit dieses russischen Fahrzeuges war schwindelerregend - beim Rosten.)

 So wurde ich als Letzter aus dem Haus gewiesen. Ich glaubte es könne nirgends schlimmer sein. So fuhr ich mit dem Fahrrad von Blankenfelde nach Wiesenburg. (Der Moskwitsch war ausschließlich für Parteigenossen da.) Als erstes fragte mich ein Lehrer (Gast) wie ich denn hier her käme. "Mit dem Fahrrad," sagte ich. Er sah mich nur stumm an. Er war der Lehrer, der sonst nie verlegen war... Damit begann ein Krieg, der 4 Jahre andauerte. Ich hatte ja damals keine Ahnung, dass dies ein so besonderes Internat gewesen war. Es war das Einzige dieser Art in der "DDR" mit einem ganz einzigartigen Zweck, der so geheim war, dass ich ihn nie erfahren habe, so lange ich dort war. Es war eine SSD-eigene Einrichtung... Von außen war es ein schönes altes Schloss mit einem großen Park mit Teichen, Schwänen und Jahrhunderte alten Eichen. Es war in Wiesenburg - der Perle des Flämings. Es ist heute sicherlich ein lohnendes Ausflugsziel im Südwesten von Berlin. Es gab im Park sogar einen Tennisplatz, den durften wir nur nicht betreten; ja, wir durften nicht einmal zuschauen, denn dort spielten die hohen Genossen und die wollten unter sich bleiben. Wir bekamen nun eine sozialistische Erziehung in Reinkultur. Das Gift des Sozialismus hatten wir nun jeden Tag in konzentrierter Form zu trinken. Jegliche Persönlichkeitsentwicklung wurde uns unmöglich gemacht. Es sollten auch gar keine Menschen dabei heraus kommen, sondern skruppellose Kämpfer für den Sozialismus - ganz nach dem Vorbild meines Vaters. Es war einfach alles verboten, bis auf das, was Pflicht war. Dazwischen gab es nichts mehr. Jede Minute des Tages war genauestens vorgeschrieben. Man brauchte sich selbst über nichts mehr den Kopf zu zerbrechen; das taten alles hoch spezialisierte Genossen für einen. Sie wussten besser, was das Beste für einen selbst war. Es war eine "Kaderschmiede" der Partei. Die Partei brauchte willenlose Befehlsempfänger. Alle ließen sich freiwillig einsperren. Nur ein einziger, Cristian Widuch, behielt seinen Verstand und verschwand. Er wurde später Kameramann und machte Tierfilme in Afrika. (Wenn er mich doch nur mitgenommen hätte - ein schöner, aber unerfüllbarer Traum.) Ein normales Gefängnis war es nicht, denn es fehlten die uniformierten Wärter etc. Die Insassen passten gegenseitig auf sich auf. (So etwas war nur im Sozialismus möglich.) Meine eigene Schwester Annebärbel war beim Geheim- äh Heimdienst und hielt dabei auch mich in Schach. Ich verstand nie, wie sie so etwas machen konnte. Wenn ich heimlich versucht hätte, einen Radioempfänger zu bauen. Sie wäre es gewesen, die es entdeckt und gemeldet hätte. Sie drehte offenbar gerne an den Schrauben der Macht. Es waren die ersten Hinweise darauf, dass unsere Anschauungen auseinander liefen. Es gab offenbar noch mehr führende Genossen wie mein Vater, deren Anschauungen über Menschlichkeit gegenüber der meinigen an diametralen Enden des Spektrums lagen. Die Schulferien waren selbstverständlich auch ausgefüllt. Wir kamen 1956 in ein Ferienlager in Boltenhagen an der Ostsee und dachten, dass wir uns nun in die Sonne legen könnten...

Die Jungs sind bei der Schießausbildung. Was soll ich nur mit den Mädchen machen, fragte sich der Offizier, der hier in seinen Problemen von meiner Schwester Annebärbel (neben ihm) hilfreich unterstützt wird.

 In Wahrheit war es ein Trainingslager der GST (Vormilitärische Organisation für Jugendliche), in dem wir militärisch gedrillt wurden und scharf schießen lernten - zusammen mit einigen Vietnamesen, die man aus irgendeinem Grunde eingeladen hatte. (Der Vietnamkrieg lag noch in weiter Ferne.) Wir sollten sie in unsere Herzen aufnehmen, so wie schon vorher unsere russischen Brüder, (die mir allerdings heute noch schwer im Magen liegen.)

Da man uns nicht andauernd bewachte, machte ich einen Spaziergang immer am Strand lang - Richtung Westen. Dass da ein Zaun mit vielen Löchern war, viel mir nicht weiter auf. Lübeck konnte man von der Höhe nun deutlich sehen. Ich hatte einen guten Überblick hier. Ich konnte Soldaten sehen, ein Schnellboot, dass mich wütend anblinkte. Gebt euch keine Mühe, ich verstehe nur Bahnhof. Ich streckte ihnen nur die Zunge raus; das verstanden sie vielleicht. Ich wurde offiziell nicht bestraft. Es wurde überhaupt nicht über meinen Ausflug in den Westen gesprochen; wohl damit es nicht ansteckte. Aber dies war mein letzter Ferienplatz an der Ostsee gewesen. Danach wurde ich in den Ferien in die Schwarzerde und danach nach Zehdenik in ein Ziegelwerk geschickt, wo ich - fein säuberlich getrennt - mit anderen Gefangenen die härteste Arbeit zu verrichten hatte. Ich musste die noch nassen Ziegelsteine von einer mittelalterlichen Maschine abnehmen, die niemals anhielt. Die noch heißen Steine aus dem Ofen zu ziehen, war das andere Extreme. Es war Kinderarbeit und härteste Zwangsarbeit, von der keine Bilder gemacht werden durften. (Diese Arbeit war wesentlich härter als später im Zuchthaus Cottbus.) Für mich wurden diese Jahre nur ein gutes Training für meinen späteren - und zwangsläufig folgerichtigen - Aufenthalt in einem sozialistischen Gefängnis, die nun wie Pilze aus der sozialistischen Erde schossen. Der Ton, das schlechte Essen, alles war dasselbe, sogar die manchmal erlaubten Spiele wie Schach und Tischtennis. So wurde ich der Beste im Schach - hurra! (Urkunde) . Radios (geschweige denn ein Telefon etc) waren selbstverständlich strengstens verboten. Dafür bekamen wir jeden Morgen 10 Minuten lang aus großen Lautsprechern die sozialistischen Nachrichten (Propaganda) serviert, denen wir - lechzend vor Hunger vor einem einsamen Brötchen und der berüchtigten Einfrucht- nein (ich will nichts verfälschen) Vierfruchtmarmelade sitzend - schweigend zuzuhören hatten. Erst wenn die letzte Parteitagsmeldung tief in meinen leeren Magen geplumpst war, (ins Gehirn durfte man so etwas nicht lassen) durfte ich - wieder auf Befehl des Heimdienstes - das Brötchen anfassen. Dieses Ritual mußten wir jeden Tag über uns ergehen lassen, jahraus und jahrein. Mir brachte es eine chronische Magenverstimmung ein. Ich wurde zum Pawlowschen Hund. Ich brauchte nur noch - auch viele Jahre später - die gleiche Stimme im Radio zu hören - und bekam obligatorische Magenkrämpfe, womit ich sein Experiment ein zweites Mal wissenschaftlich bewiesen hätte. Dick wurde nur einer, das war der Küchenchef. (Bilder von ihm, sowie den Schülern waren verboten.) Für mich gab es natürlich auch nichts mehr zu basteln. Die Krönung aber war, dass ich nun auch noch die Sprache derjenigen zu lernen hatte, vor denen sich mein Vater in die Hosen geschissen hatte. (Dies hat man später im Zuchthaus großzügigerweise weggelassen.) Es war eine Oberschule mit "erweitertem Russischunterricht". Ich leistete passiven Widerstand. Ich rechnete mit einer 5 in Russisch womit ich durchs Abitur durchfallen werde. Mit diesem Zeugnis würde ich nach Westberlin gehen. Russisch zählte da nicht. Ich schrieb als "Heimatadresse" schon mal die Adresse von meiner Oma in West-Berlin in mein offizielles Schülertagebuch, weil ich mich von dem von allen gefürchteten Parteisekretär von Blankenfelde distanzieren wollte, der leider mein Vater war. Diese Adresse wurde mir aber einfach wieder gestrichen. Das machte mir aber nichts, denn ich werde trotzdem - sobald ich durchs Abitur gefallen wäre - nach Westberlin gehen, nahm ich mir vor. Die Prüfungen kamen. In der mündlichen Abschlussprüfung in Russisch sagte ich mit Absicht alles falsch. Ich war so stolz auf mich, dass ich mir das getraut hatte, denn jetzt hatte ich endlich einen Grund, alles hinter mir zu lassen. In Gedanken war ich schon weg. Zu meiner größten Überraschung bekam ich aber problemlos mein Abiturzeugnis! Ich hatte es mal wieder überhaupt nicht gewusst; man durfte mich gar nicht durchfallen lassen! Die Lehrer hatten überhaupt nicht das Sagen! Der SSD hatte längst entschieden, was als Nächstes zu passieren hatte, schließlich war es ihre Anstalt, was wir nur nicht wussten. Ich fragte mich, was hier eigentlich vor sich ging. Ich merkte nicht, dass mein Lebens- bzw. Leidensweg durch den SSD vorgezeichnet war, völlig unabhängig davon, was ich wollte, dachte oder tat. Ich war unter den sozialistischen Hammer gekommen - ich wusste es nur nicht. Nun sollte ich Physik studieren. Ich dachte damals nur, Physik, das ist eines der letzten Dinge, das die Kommunisten noch nicht verfälscht hatten. Die Physik ist in Ost und West genau gleich. Die Kommunisten kann ich also dabei vergessen. Warum also nicht? Es kann ja nicht schaden - irrte ich mich schon wieder. Ich wollte natürlich in Berlin studieren - das ginge aber nicht. (Dies hätte mir zu Denken geben müssen.) Ich sollte unbedingt in Dresden Physik studieren. Da dies nicht von meinem Vater kam (dachte ich), auf den ich nun nicht mehr hörte, weil er mich nun oft genug in meinem Leben reingelegt hatte, fiel ich wieder darauf rein. Ich dachte nicht, dass andere Menschen genauso gemein und hintertrieben sein könnten wie mein Vater. Ich hatte die Kommunisten noch nicht genug studiert gehabt. Jetzt gaben sie mir eine Lektion nach der anderen! Man denkt immer, dass man das Schlimmste hinter sich hat - sie finden aber immer wieder neue Tricks und man sieht das Gift nicht gleich, dass sie mit dem Bonbon überreichen. Das Studium war umsonst - das war das Bonbon, das andere kam später... Zuvor wurde ich gezwungen, freiwillig zwei Jahre zur Armee zu gehen. So landete ich mit 17 Jahren auf dem Militärflugplatz in Preschen.

 

Auf dem Militärflugplatz in Preschen durften wir Segelfliegen, wenn sonst nichts los war.

 Dort gab es viel mehr Freiheiten als in Wiesenburg. Wir durften am Wochenende Segelfliegen - und ein Stück Kuchen konnten wir auch kaufen. Das erste Mal in meinem Leben bekam ich genug zu essen. Die in Wiesenburg praktizierte Selbstunterdrückung war hier nicht mehr möglich. (Man möge mich nicht falsch verstehen; es war natürlich preußischer Kommiss mit allen seinen Auswüchsen, aber - verglichen mit dem Internat in Wiesenburg - ein deutlicher Fortschritt.) Es gelang mir wieder heimlich Radio zu hören. Ich sollte eigentlich nur einen Tankwagen zur Rollbahn fahren, fragte aber einen Offizier nach einem abgestellten Jeep P2M. (Ich wollte die Welt kennen lernen.) Die Werkstatt hatte ihm versichert, dass er nicht mehr zu reparieren war. Deshalb erlaubte er mir es zu probieren - und war sich meines Misserfolges sicher. Mit Hilfe von alten Teilen, einer Drehbank etc fuhr er wieder und ich durfte ihn zähneknirschend behalten. Die Genossen hatten sich in mir gründlich verkalkuliert. - Das sollte such so bleiben. -

 

  Ich war Gefreiter und Kraftfahrer bei der Armee gewesen. (Hier mit dem P2M.)

 Wenn ich z.B. in der russischen Blindfluganlage, die sowieso nie funktionierte, zu sitzen hatte, habe ich so lange dran rumgedreht, bis ich Radio Luxemburg hören konnte. (Ich konnte Dinge, die ich vorher noch nie gesehen hatte, - nein nicht bedienen, aber so verändern, dass sie das taten, was ich wollte.) Mich hat nie jemand verpfiffen, und wenn ich die Offiziere zu einer überraschenden Kontrolle raus fuhr, haben sie auch nie jemanden erwischt. Einige Offiziere wundern sich noch heute... Für manche habe ich aber auch noch die Kinder aus dem Kindergarten abgeholt und die Frauen zum Einkaufen gefahren. So gab es immer weniger, die überhaupt an einer Untersuchung interessiert waren. So hatte ich fast keine Feinde und meinen eigenen Wagen, mit dem ich Ausflüge bis zur Bastei gemacht habe... Mit meinem Wagen war ich für einfach für jedermann da, der schnell etwas brauchte, das es offiziell gar nicht gab. So bekam ich zum Dank von der Küche einmal einen ganzen Schinken geschenkt. Obwohl ich ihn redlich mit meinen Zimmergenossen teilte wurde mir schlecht. So viel Schinken hatte mein Magen einfach noch nie zu verdauen gehabt.

Mig 19, 1960 auf dem Flugplatz in Preschen bei Cottbus.

  Die Mig 19 war das neueste Schlachtschiff des sozialistischen Lagers, mit der die sozialistischen Errungenschaften, wie z.B. die B152, gegen den Neid der restlichen Welt verteidigt werden sollten.

 Hier auf einem Militärflughafen war das Fotografieren leichter als im Internat in Wiesenburg (Ein Klassenkamerad hatte diese Aufnahmen gemacht. Wegen solcher Bilder und eines Militärflugplatzes in Fürstenfeldbruck wird viele Jahre später der Generalbundesanwalt im Auftrage des SSD - man glaubt es kaum - gegen mich ein Ermittlungsverfahren wegen Spionage einleiten.) 1960 hatten wir eine Verlegeübung zum Flugplatz nach Dresden gemacht, wo gerade die restlichen Flugzeugteile eines Prototyps einer B152 zerschnitten wurden. Ein anderer war mit allen Prominenten dieser zukunftsträchtigen Entwicklung gerade abgestürzt worden. Alles sah nach Sabotage aus. Wir waren nun sicherlich hier, um die Saboteure einzuschüchtern und weitere Sabotage zu verhindern. (Dass wir nur da waren, um die Arbeiter einzuschüchtern, damit sie brav die letzten Spuren des Flugzeugbaus in der DDR beseitigten, war schwer zu glauben - und sagte keiner.)

Warum die B152 so große Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Bomber XB-47 von Boeing hat, liegt vielleicht einfach daran, dass Pläne für dieses Konzept nach Kriegsende herum lagen.

B152 Bild von Frank Manke http://home.t-online.de/home/frank.manke/152.htm

Ich fuhr auch mal mit meinem P2M im eigenen Auftrag nach Dresden und sah mir meine zukünftige Lehrstätte an. Das Fach Flugzeugbau gefiel mir viel besser, nur wurde die ganze Fakultät gerade geschlossen, nachdem der Prototyp des ersten Düsen-Passagierflugzeuges, die B 152, abgestürzt worden war. Das war das Flugzeug gewesen, mit dem wir den Westen überholen wollten. Mit ihm wollte ich nach Gran Canaria fliegen, während im Westen die Menschen nur schwer schuften mußten und kurz vor dem Abgrund standen, wie die Genossen zu sagen wussten. Irgend jemand hatte das Entwicklungsprogramm sabotiert. Der SSD wird die Saboteure sicher bald finden und unschädlich machen, dachte ich. Denn der einzige Weg, den Westen zu überholen, waren bessere Technologien. Dies war sicherlich allen völlig klar, denn es wurde nicht extra betont. Die dunklen Kräfte, die solche Neuentwicklungen zerstörten, zerstörten damit auch den Sozialismus - und das werden sich die Genossen nicht gefallen lassen! Die Saboteure wurden aber nie gefunden und unschädlich gemacht. Gerüchte kamen auf, dass es die Kommunisten (der SSD) selber getan hätten. Niemand wird so dumm sein, den Ast abzusägen, auf dem er selber sitzt - auch die Kommunisten nicht! Langsam kamen mir Zweifel. Ich hatte einige Menschen kennen gelernt, kluge, anständige und Kommunisten, wobei letztere niemals unter den ersteren zu finden waren.(Es wurden immer gerade diejenigen Funktionäre, die sonst nichts anderes werden konnten.) Es gab offenbar eine schlechte Auslese. (Ich habe als Einziger weit und breit nie in meinem Leben irgendeinen Posten angenommen; schon deswegen nicht, damit ich niemals als Kommunist angesehen werden konnte.) Vielleicht waren sie doch so dumm, an ihrem eigenen Ast zu sägen? (Ich hatte ja nicht glauben wollen, dass die sogenannte "DDR" nur als Kriegsgefangenenlager für den Zeitraum von 50 Jahren konzipiert worden war.) Wenn die nun alle so waren wie mein Vater, und ihre ganze Kraft nur dazu verschwendeten, um sich die größten Gemeinheiten auszudenken? Unvorstellbar! Ich werde aber, wenn ich im August 1961von der Armee entlassen werde, mich doch erst einmal in West-Berlin umsehen, nahm ich mir vor. Jemand schien wiederum mein Vorhaben vorauszusehen. Genau am 13. August 1961 wurde mir - und dem Rest der Bevölkerung des Landes - die Tür vor der Nase zugeschlagen. Jetzt wurde das größte Bollwerk des Sozialismus gebaut - Die Mauer. Die Grenze um die "DDR" wurde nun das einzige von Menschenhand geschaffene Werk, das man als erstes erkennen konnte, wenn man aus dem Weltraum kommend, der nun auch sozialistisch zu werden schien, die Erde besuchen wollte.

Mein Studium der Physik an der TU - Dresden wurde mit einem großen Kartoffeleinsatz in Mecklenburg begonnen. Was für eine Sorte von Physikern wollten sie hier ausbilden? Durch die verlorene Zeit wurde das Studium nicht einfacher. Wir hatten wirklich schwer zu büffeln. Mehr als 50% blieben auf der Strecke. In der Mitte des Studiums wurde mir auch noch das versprochene Stipendium gestrichen. Ich wusste nicht warum. Ich solle mich an meinen Vater wenden, von dem ich mich eigentlich schon vollständig getrennt hatte. Ich fuhr nach Berlin ins Bonzenzentrum Berlin-Pankow, wo mein Vater nun standesgemäß wohnte. Sein Haus war leicht zu finden, denn zwei unauffällig gekleidete Herren in Ledermänteln sassen in einem "Schikuli" (typisches Stasi-Auto) vor seiner Tür. (Ich hatte damals nicht gewusst, dass er diesen Schutz extra wegen mir angefordert hatte.) Ich überraschte meinen Vater, wie er gerade einen Gift-Artikel über einen Physiker für das "Neue Deutschland" (das größte Propaganda-Blatt der Kommunisten) zusammen rührte. Er schrieb über Prof. Robert Havemann, dem man Hausarrest verpasst hatte, weil seine Physik nicht mit der Parteipropaganda übereinstimmte. Der Artikel las sich so, als wenn man einen Schmutzkübel über jemandem ausgoss. Ich war schon wieder angeekelt, ließ mir aber nichts anmerken; jetzt wollte ich ihm eine Falle stellen. Er konnte ja nicht genau wissen, wie ich mich entwickelt hatte und wie ich heute dachte. (Bei meiner Schwester Annebärbel hatte der sozialistische Hammer ja letztlich auch gewirkt.) Ich wollte wissen, was mit mir in Dresden gespielt wurde. Zunächst ging es um mein Stipendium, das er abgeschickt habe, bei mir aber nicht angekommen war. Er fand dafür auch keine Belege, weshalb ich seine Worte anzweifelte. Worauf er wieder seinen berühmten Ausspruch tat: "Ich verlange von dir, dass du das glaubst." Dabei lief er immer rot an - eine Farbe, die zu ihm passte, nur machte er dabei immer den Eindruck, als wenn er jeden Moment platzen würde. Dann, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, versuchte er mir umständlich zu erklären, dass sich ein weiteres Studium für mich nicht lohnen würde - und im übrigen auch gar nicht nötig wäre, denn das Land (die Partei) brauche nicht so viele Physiker, sondern "Kundschafter". Ich war wie von der Tarantel gestochen, ließ mir aber nichts anmerken, denn jetzt wollte ich mehr wissen - die ganze Verschwörung. So fragte ich ihn nach dem wo, wie, was und wann. Er schien froh zu sein, dass sein Sohn nun endlich begriffen hätte... Das, was so nach und nach zusammen kam war so schlimm, dass mir einfach die Worte fehlen. Nach Afrika würde man nun die BRD in den Griff bekommen... Ich dachte immer in meiner Naivität, dass Spione Leute sind, die Informationen stehlen. Aus diesem Stadium seien sie längst raus, wurde ich belehrt; niemand in der BRD könnte etwas tun, von dem wir nicht unterrichtet würden. Jetzt stand die Übernahme der Macht auf dem Programm, langsam und leise. (Es sei nur am Rande vermerkt, dass die Kommunisten - zumindest in meinem Fall - die Macht in der BRD tatsächlich übernommen haben, denn in jeder Behörde gibt es mindestens einen Genossen, der in treuer Pflichterfüllung meinen Fall im Sinne des SSD bearbeitet.) Niemand wird uns dabei aufhalten können, weil es keiner merkt. Spione werden heimlich in alle Machtpositionen eingeschleust.(Die Aidsviren hatten dieses Prinzip noch gar nicht entdeckt. Die Kommunisten waren der Zeit weit voraus.) Vom Gelingen dieser schleichenden Revolution war er so überzeugt, dass er sich schon in München das Gebäude ausgesucht hatte, wo er sein Institut leiten werde. Ja wenn das wirklich so ist, dann muß ich nach drüben gehen und den ahnungslosen Leuten erzählen, was da auf sie drauf zu kommt, dachte ich sofort. Er meinte, dass ich das begonnene große Werk unbedingt fortführen müsste, sonst wäre meine Mutter auch umsonst gestorben...Mir fiel es nun wie Schuppen von den Augen. Jetzt wurde mir alles klar, auch warum er zwei schwere SSD-Männer vor der Tür hatte, die sich so überdeutlich mir zu erkennen gegeben hatten. Es war eine Drohgebärde. Er hatte Angst, dass ihn sein Sohn nach seinen Worten sofort den Schädel einschlagen würde, denn er hatte seinen Sohn in eine Falle getrieben, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Er hatte mich verraten und verkauft. (Verdient hatte er es natürlich, aber ich würde mich mit einer solchen Handlung auf seine Stufe stellen - und das wird niemals passieren.) Jetzt passte aber alles zusammen, warum ich nur ein halbes Physik-Studium brauchte und nun kein Stipendium mehr bekam. Warum ich unbedingt in Dresden studieren mußte. Warum Klaus Fuchs, der Atom-Spion, in der TU-Dresden herum lief. Warum viel zu viele Studenten das Physik-Studium begannen. Warum während des Studiums weit über 50% der Studenten rausflogen und dann spurlos verschwanden. Warum es keine Gruppenfotos von uns Physik-Studenten gab etc.

Die Kommunisten hatten die Technische Hochschule Dresden in eine Ausbildungsstätte für Spione verwandelt, die sich als Belohnung nun Technische Universität nennen durfte. Der SSD hatte mich also nur von einer seiner eigenen Ausbildungsstätten zur anderen weitergereicht gehabt. Und das Schlimmste an der Sache war, dass ich jetzt machen konnte was ich wollte: ich würde genauso wie alle anderen als Spion geführt, ob ich wollte oder nicht! Es gab keinen Ausweg. Normalerweise müssten jetzt Schüsse fallen, denn Worte waren zu schwach, um diese Unterhaltung zwischen Vater und Sohn fortzuführen. Alles andere hatte keine Bedeutung mehr.

Meine Mutter, die - wie er meinte - für eine große Sache gestorben war, hatte er von seinen Genossen umbringen lassen und mir hatte er jetzt mein Leben verpfuscht! Ich war (natürlich ohne es zu wissen, aber wer fragt danach) jahrelang in einer Ausbildungsstätte für Spione gewesen. Das war's also - das war der wahre und real existierende Sozialismus! Ich war ohnmächtig vor Wut. Wenn ich Arnold Schwarzenegger gewesen wäre, würde ich jetzt die beiden Gestalten draußen aus ihrer Blechkiste ziehen und mit den Köpfen zusammen hauen. Dann hätte ich die Unterhaltung mit einer Kalaschnikow weiter geführt. Dies war ja die einzige Sprache, die die Kommunisten verstanden - es war ja ihre Muttersprache.

Die verschlagenen Kommunisten kannten sich in der hohen Kunst der Menschen(ver)führung aus. Sie waren die Meister des Bösen. Es wurden absichtlich viel zu viele Physik-Studenten immatrikuliert und Aufnahmeprüfungen abgeschafft. Die Professoren wehrten sich dadurch, indem sie die späteren Prüfungen so streng machten, dass die meisten wieder rausflogen. Diese Reaktion war genau so voraus geplant, denn der SSD wollte nur etwa 2 Jahre Physikstudium für jeden Spion. Das reichte, um gegebenenfalls den Stromlaufplan der Klimaanlage von dem des Steuermechanismus einer Rakete unterscheiden zu können. Die jetzigen schlecht gebildeten Spione brachten dauernd nur sämtliche Unterlagen der Klimaanlage einer Raketenabschussbasis mit.

Die Serienproduktion von Spionen war in vollem Gange. Keiner hat was gemerkt, oder doch? Hängt die große Sterberate meiner Professoren damit zusammen? Manche hielten sich kaum ein Semester. - Ein Professor für theoretische Physik wusste wohl - und sagte zu viel. Er wurde in eine Nervenanstalt eingeliefert, wo er "verstorben wurde". (Dies waren neue Wortschöpfungen des Volkes, weil man "wurde ermordet" nicht sagen durfte.) Es war der jüngste aller Professoren, ein Schüler Heisenbergs, und er hatte gute Bücher der theoretischen Physik geschrieben. Ich war einer seiner letzten Studenten. Professoren und Studenten hatten sich abgemüht. Es war aber nie wirklich um die Gravitationskonstante oder irgendwelche Differentialgleichungen gegangen. Die Kommunisten hatten ganz andere Ziele gesetzt, die allerdings nur sie kannten. Wenn man die Kommunisten studieren will, muss man sich also folgenden Lehrsatz merken: Es geht niemals um das, was offiziell verkündet wird. Sie verstehen es Menschen zu manipulieren, ohne dass sie es merken. Ich merkte es erst, als es zu spät war. Er hatte es tatsächlich mit Hilfe seiner Genossen beim SSD geschafft, mich in diese Lage hinein zu manövrieren. Das war also sein Handel mit dem SSD gewesen. Er hat mich an den SSD verkauft, die einen Spion aus mir machen wollten! Jetzt war ich wirklich verkauft und verraten. Wie konnte ich nur so dumm sein, davon nichts eher gemerkt zu haben? Ich weiß es nicht. Was sollte ich nun tun? Wen konnte ich um Rat fragen? Keinen. Das würde mir sowieso keiner glauben. Es wurde ein Alptraum für mich, dass mir alle die Türe vor der Nase zu machten, weil sie mich für einen Spion hielten. Ich wäre lebendig, aber lebenslänglich erschossen. Dagegen mußte ich etwas unternehmen. Sollte ich in den Westen gehen und meine Kommilitonen, die dort schon tätig waren, verraten - so wie mein Vater seine Kameraden verraten hatte? Das war ausgeschlossen. Ich hatte ein Problem. Ich fuhr mit meinem Motorrad zurück nach Dresden und überlegte dabei angestrengt, was zu tun sei. Mein Vater wollte also, dass ich mein Studium abbreche, damit seine Genossen mich als Fallobst übernehmen konnten. Das Gegenteil von dem was mein Vater wollte, war vielleicht richtig. Also mußte ich das Studium weitermachen mit einem richtigen Diplom beenden, dann selbst wissenschaftliche Leistungen erbringen, die jeden Verdacht abprallen ließen. Das Beste wäre, wenn ich eine Erfindung im Fernsehen zeigen könnte. Ich habe nie gesehen, dass sich ein Spion im Fernsehen vorgestellt hat. Ich habe nie gehört, dass ein Erfinder der Spionage bezichtigt wurde. Eine Flucht nach vorne, das war`s was ich zu machen hatte. Ich stand kurz vor dem Raus-geworfen-werden. Ja ja, ich gebe ja zu, ich habe mich lieber mit meiner Freundin, Christine Kappelt, befasst, als mit ausgetrocknetem mathematischen Formelzeug.

Christine Kappelt mit ihrem Sohn Dirk

 Seit dem Besuch bei meinem Vater in Berlin Pankow warf ich das Ruder herum. Ich hatte nur noch gute Noten (nach einer 5 stand ich nun auf 1) und kam nie mehr in Gefahr exmatrikuliert zu werden. Ich hatte alle alten Lernmethoden über Bord geworfen und meine eigene entwickelt, die mindestens 100x effektiver war und sogar zu einem richtigen Verständnis führte, das man dann sogar anwenden konnte.(Meine spätere elektromagnetische Wasserpumpe war nichts weiter als eine Gleichung aus der Magnetohydrodynamik angewendet. Seitdem konnte ich aus einer trockenen Gleichung praktische Anwendungen machen.) Zeit habe ich dabei auch noch gespart. Meinen Unterhalt verdiente ich mir, indem ich als Kraftfahrer nebenbei arbeitete. (Dies mußte ich nun alles tun, denn ich war ja nun in einem gegenseitigen full-spectrum Vernichtungskrieg mit meinem Vater nebst Genossen.) Als Kipperfahrer verdiente ich mehr als ich jemals als voll ausgebildeter Physiker in der "DDR" jemals verdienen sollte. Ich hatte als einziger ein Motorrad und schnappte den anderen damit die Mädchen weg. Ich konnte zwar keine grossen Sprünge machen, aber unter den Blinden ist eben schon der Einäugige König. (Auch die Professoren kamen mit dem Bus.)

An den Elbwiesen übte ich für das kommende Rennen, das dann nie stattfand.

 Nach einer außergewöhnlichen Diplomarbeit (Eine neue Funkenkammer, siehe Veröffentlichung im Anhang ) wollte man mich am Institut für experimentelle Kernphysik der TU-Dresden in Pirna behalten. Das gefiel mir. Mein Kopf war voll von Ideen, die ich sofort angehen wollte. Aus der Funkenkammer könnte man etwas machen. Auch könnte man mit dem verwendeten SEV (Sekundärelektronenvervielfacher) Bildwandlersysteme entwickeln, die so empfindlich wären, dass man sogar im Dunkeln noch sehen könnte. Oder man kann ein medizinisches Gerät entwickeln, mit dem man Bilder des Körperinnern machen kann u.a. Ich nahm die Arbeit an, obwohl das Gehalt von 540,-DM mir einen Schock versetzte. (Ich hatte mehr als das Doppelte schon als Kraftfahrer verdient gehabt.) Damit konnte ich nicht leben, schon gar nicht eine Familie ernähren. Das ganze Studium war also umsonst gewesen. Was sollte ich tun? Ich mußte vielleicht etwas besonderes leisten, um mein Gehalt aufzubessern. Ich versuchte die Entwicklung neuer Geräte in Gang zu bringen. Ich nahm Verbindung mit Betrieben auf, so z.B. mit VEB-Vakutronik, um alles Nötige zusammen zu bekommen. Da waren auch interessierte Leute und ich war fähig, sie zu begeistern, aber irgendeine geheimnisvolle Kraft verhinderte am Ende alles wieder - machte jede Initiative zunichte. Das Ergebnis all meiner Bemühungen läßt sich so zusammenfassen. Es war das gleiche, als spucke man gegen den Wind. Meine Ideen sind nicht gut genug, sie wollen sicher Dinge mit höherem Gewinn, dachte ich, etwas, das in großen Stückzahlen hergestellt werden konnte, etwas, mit dem sich der Westen schneller überholen läßt. Das war ja die Parole. Ich lag also völlig richtig - oder?

1966, TU-Dresden: ich an der Funkenkammer und viel Elektronik drum herum.

 Ein elektronischer Zähler, ein großer Kasten mit Ziffern-Anzeigeröhren brachte mich auf die rettende Idee. "Was, wenn wir ihn nur bis 60 statt bis 100 zählen lassen und so Eichen, dass jeder Schritt eine Sekunde dauert. Wir hätten eine elektronische Uhr. Wenn wir das ganze dann mit Halbleitern, statt mit Röhren machten, wird die ganze Sache kleiner und wir können es als Armbanduhr verkaufen. Davon lassen sich Millionen verkaufen. Wir werden alle reich. Miniaturisierung war das Schlagwort, wie vorher Rinderoffenställe, Mais - die Wurst am Stengel etc. Meine letzten Worte gingen im aufkommenden Lärm unter. Wissenschaftler, die sonst immer ruhig und besonnen waren, schrieen alle durcheinander. "Ja, willst du dir denn so eine Kiste um den Arm binden?". So eine Uhr wäre völliger Unsinn, sie würde nie genau gehen". Schwingquarze sind temperaturabhängig! Ich wollte noch entgegnen: aber es gibt einen transversalen und einen longitudinalen Effekt mit gegenläufiger Temperaturabhängigkeit. Wenn man beide Effekte geschickt miteinander verbindet, fällt der Temperatureffekt vielleicht raus, aber es war unmöglich noch etwas zu sagen. Das Schlimmste aber war, dass ich ab sofort in keiner Sache mehr ernst genommen wurde. Das ganze sozialistische Kollektiv stand mir plötzlich feindlich gegenüber. Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich dachte immer, ich könnte Freunde gewinnen, wenn ich etwas nützliches erfinde. Feindseligkeiten wollte ich nicht. Ich kündigte. (1 Jahr später kam die erste Digitaluhr auf den Markt, sie war aber nicht in der "DDR" entwickelt worden). Okay, die wollen also alle nicht reich werden. Ich will. Ich hatte auch eine Idee für eine neue Drehkolbenmaschine. "Da musst du in einen Betrieb gehen, der so etwas baut", sagte man mir. So ging ich ins Motorenwerk Johannisthal in Ost-Berlin, wo man sicherlich von meinen Ideen begeistert sein wird.

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