Tote reden nicht

Mein Vater ging nun in seiner Parteiarbeit ganz auf. Sein Verrat an seinen untergetauchten Kriegskameraden wurde belohnt. Er war deswegen aus dem Gefängnis entlassen worden. Außerdem bildete Verrat das solide Fundament einer steilen kommunistischen Karriere. Er war ein typischer Vertreter einer neuen Generation von Nazi-Kommunisten. Er machte Parteiarbeit für die Partei der SED, die es noch gar nicht gab. Trotzdem waren seine Genossen dankbar. Sie nannten ihn "Ein Genosse der ersten Stunde". Als sich die Aktionen vor unserer Haustür langsam erschöpften, bekam er ein Motorrad, damit er seine wertvolle Arbeit woanders fortsetzen konnte. Er nahm mich sogar zu einigen seiner konspirativen Treffs mit. Es war immer die gleiche humorlose Sorte von Leuten - und die gleichen Tätigkeiten...Dies ging die nächsten Jahre so weiter, aber mein Vater wollte mehr, wollte steiler hinauf - die Leiter, die man ihm geboten hatte. Er wollte (schon wieder) gottähnlich werden und über Leben und Tod zu entscheiden haben. Solche Posten wurden tatsächlich geschaffen, man nannte diese neuen Götter "Parteisekretär". Dies war nun sein Ziel, das er ohne Rücksicht auf Verluste erreichen wird. Nur meine Mutter, obwohl sie schon gar nicht mehr da war, stand ihm noch für solch hohe Ziele im Wege. Sie wusste zu viel! Sie sollte eine Schweigeverpflichtung über seine Vergangenheit unterschreiben - über eine Vergangenheit, die gerade neu geschrieben wurde. Dazu war sie aber zu ehrlich und anständig. Anstatt zu unterschreiben ließ sie sich von ihm scheiden. Es war eine politische Scheidung - und nicht die einzige. Die Warnungen schlug sie in den Wind. Sie unterschätzte wohl auch die Macht, Brutalität und Skrupellosigkeit seiner neuen Genossen, die hinter ihm standen. (Gleich nach dem Kriege vollzog sich eine neue Polarisierung im Volke. Die ehrlichen und aufrechten Menschen wurden von den Kommunisten ausgegrenzt. Neue unsichtbare Schützengräben taten sich im Lande auf, die quer durch Familien gingen. Der Kalte Krieg gegen das eigene Volk begann. Jede neue Runde wurde durch einen SED-Parteitag eingeläutet.) Sie war ebenso stur wie ich es auch wurde. Seine Genossen waren mit dieser Lösung aber nicht zufrieden. Die neuen Machthaber sahen in ihr eine latente Gefahr. Wenn er dazu gehören wollte hatte er "sein Problem" bis zu dem kommenden großen Parteitag im Jahre 1950 zu lösen, konnte dabei aber auf die Hilfe vertrauensvoller Genossen rechnen. Sie starb genau am ersten Tage des großen Parteitages der SED, am 20.7. 1950.

Ich hatte mich für solche Ereignisse und Politik nie interessiert. Ich wunderte mich nur, dass meine Mutter ohne irgendwelche Vorankündigungen plötzlich weg war. Niemand wusste etwas. Dann wurde uns Kindern nur gesagt, dass sie in einem anderen Ort, den ich noch nie gehört hatte, im Krankenhaus sei. (Zu ihrer Beerdigung wurde sie wieder nach Blankenfelde zurück geschafft.)

(Die Kommunisten hatten aus der Geschichte gelernt und wollten am Ende nicht mehr so viele Leichen herum liegen lassen wie die Nazis. Deshalb erfanden sie einen neuen subtilen Tötungsmechanismus, den selbst die Nazis nicht auf die Beine stellen konnten: eine kostenlose Krankenbehandlung. So wurde meine Mutter nicht von Soldaten oder der Polizei, sondern heimlich von einem Krankenwagen zu ihrer Hinrichtung abgeholt. Die Kommunisten - nicht von großer Intelligenz geplagt - rechneten einfach: Jeder Mord ist ein Klassenfeind weniger. Sie vergaßen nur dabei, dass sie sich damit gleichzeitig neue schufen, unter denen, die mit dieser Handlungsweise nicht einverstanden waren - die Kinder der Opfer z.B. Tatsächlich befand ich mich seit dem Tode meiner Mutter mit meinem Vater und seinen Genossen im Kriegszustand eines Kalten Krieges, der nie beendet wurde. Sie hatten mich sie hassen gelehrt. Kommunisten haben die Gabe, die schlechten Eigenschaften eines Menschen heraus zu kehren, Hass aber war ein wichtiger Grundbaustein für den Aufbau des Sozialismus. Sie brauchten natürlich den verhassten Klassenfeind, den sie sich - wie in meinem Falle - selber erzeugten, denn ohne Klassenkampf hätten die Kommunisten überhaupt keine Daseinsberechtigung.)

Die Beerdigung meiner Mutter in Blankenfelde wurde ein großes Ereignis mit einer großen Prozession. Fast die ganze Schule war gekommen und viele, die ich noch nie gesehen hatte. Das verstanden sie, ihre Opfer prunkvoll zu Grabe zu tragen. Diese Prozession war wichtig für meinen Vater, denn er brauchte die Namen derer, denen sie Informationen gegeben haben könnte. Meine Verwandten stopften sich mit Kuchen voll - ich sagte kein Wort und aß nichts. Das versteht er noch nicht, sagten sie, sich mit vollem Munde zunickend. Was verstanden die denn? Ich war doch keine drei Jahre mehr alt. Ich war jetzt 8, also so gut wie erwachsen! Vor ihm - meinem Feind und Mörder meiner Mutter - vergoss ich keine Träne. Ich weinte mich heimlich aus. Jetzt kochte vor Wut, weil ich den Mörder meiner Mutter vor mir sah. Er wagte es hierher zu kommen - und keiner tat etwas! Gab es denn keine Polizei - keine Gerechtigkeit? Alle dachten nur ans Essen. Niemand verstand mich - aber das ist ja nicht mehr neu. Nur mein Vater wusste was hier gespielt wurde. Er war der Einzige, der wusste, wie meine Mutter umgekommen war, dass sie nicht wegen einer Krankheit so pünktlich gestorben war. Aber er war zufrieden, keiner hatte etwas gemerkt und das Schlimmste war nun für ihn vorbei, was er am gleichen Tage an seine Freundin in Erfurt schrieb. Morgen wird der Spuk hoffentlich wieder vorbei sein und mein Vater zurück nach Erfurt gehen, hoffte ich. Ich ahnte nicht, dass das Schwert des Damokles schon über uns schwebte und der Name Willimczik für den neuen Parteisekretär von Blankenfelde schon mit der Beerdigung meiner Mutter fest geschrieben wurde. Jetzt konnte er sich "wahrer Genosse" nennen, denn er hatte nun selbst nach dem Vorbild des großen Genossen Josef Wissarionowitsch Stalin auch nicht vor seinen eigenen Verwandten halt gemacht. (Kommunisten sind keine einfachen Mörder, denn sie haben dazu ein gut fundiertes Parteiprogramm. Sie erheben den Anspruch besser als der Rest der Menschheit zu sein, weil alle anderen nicht den "Mut" dazu aufbringen ihre eigenen Verwandten umzubringen.)

  Irmgard Willimczik

Meine Mutter war 1950 Mathematiklehrerin an der Karl-Liebknecht Schule in Blankenfelde und mußte für die Karriere eines Nazikommunisten aus dem Wege geräumt werden. Niemand sollte erfahren, dass die gleichen Leute aus dem Reichspropagandaministerium, die das Volk schon einmal in den Untergang geredet hatten, jetzt das Volk in den Sozialismus hinein redeten.

  Frau Busch

Bei einer netten Nachbarin, Frau Busch, bekam ich große Butterbrote mit Speck, die ich noch nie gesehen hatte. Sie wäre eine gute Ersatzmutter gewesen, aber mein Vater zerschlug diese menschliche Verbindung.

 

 

Immetraut, Wolfhart, Annebärbel

Zu dieser Zeit lebten wir drei Kinder in einem schönen Haus in Blankenfelde, August Bebel Straße 112. Wir waren 8, 10, und 12 Jahre alt und hielten zusammen. Fremde, aber nette Menschen wie Frau Busch halfen uns. Unseren Vater wollten wir nicht. Wir ahnten nichts Gutes.

Ein Brief, den er am Tage der Beerdigung an seine Freundin Hildegard Högerle schrieb, erlaubt einen kleinen Blick hinter die Kulissen. Offiziell verkündete er, dass er sich von nun an um uns kümmern wollte, weswegen er sich selber ja in unser Haus setzte. In diesem Brief aber schreibt er, dass er uns weggeben will. Ich solle gleich bei Oma bleiben...

Nach dem Mord an seiner geschiedenen Frau stand die Zerschlagung des Restes der Familie auf dem Programm. Er war ein konsequent kämpfender Genossen und machte keine halben Sachen. Die Zerschlagung aller menschlichen Kontakte hatte dabei oberste Priorität. Damit begann er sofort ohne Verzögerung, denn er war noch gar nicht aus der Übung gekommen. Dies war seine Welt. Er verfolgte seine Ziele mit wissenschaftlicher Gründlichkeit und wurde ein Vorbild für andere Genossen, die ihm nacheiferten, ihn in seiner künstlerischen Vollendung bei der Zerstörung aller Menschlichkeit aber nie erreichten. Für mich war er der größte Verschwörer gegen die Menschlichkeit. Er konnte Hitler und den Genossen des SSD gleichermaßen ein guter Lehrmeister sein. Wir Kinder waren für ihn nur eine kleine Übung. Wir hatten bisher wie Pech und Schwefel zusammen gehalten. Als er in unser Haus einzog hetzte er jeden gegen jeden auf, ohne dass wir es überhaupt merkten. Er säte Misstrauen, Neid, Hass und Streit und hatte die einmalige Gabe, dass seine jeweiligen Opfer es überhaupt nicht merkten, woher es kam. Das mache erst einmal jemand nach - und in dieser Perfektion. Bei der Zerschlagung jeglicher menschlicher Beziehungen konnte sogar Hitler von meinem Vater noch etwas lernen.

vlnr: Speer, Dr. Kurt Willimczik, Hitler.

Warum mein Vater so wertvoll für die Nazis war, wusste allein meine Mutter, deshalb musste sie sterben.

 Alle diese Dinge, die er in seiner Familie - also im Laborversuch - angewendet hatte, finden sich in den Grundprinzipien des Sozialismus wieder. Er legte die theoretischen Grundlagen zur Unterdrückung eines Volkes mit wissenschaftlichen Methoden und war einer der Begründer des Kalten Krieges. Die Nazis und Kommunisten brauchten ihn gleichermaßen als größte wissenschaftliche Autorität in diesen Dingen.(Die Bemerkung eine Hauptmann Wagner zu diesem Thema:"Was gut ist übernehmen wir.")

Wir waren eine der reichsten Familien in Blankenfelde. Wir hatten zwei Flügel und ein Klavier und schwere Eichenmöbel, auf die selbst Hitler stolz gewesen wäre; trotzdem hungerte ich nun wieder, was nun Methode war, denn so groß war der Mangel nicht mehr. Eine Hausangestelltin hatten wir auch. Seine Freundin Hildegard machte sich bei der Hausarbeit nicht die Finger schmutzig - das tat sie im Ministerium für Kultur, als sie gemeinsam mit meinem Vater nebst Genossen den Kalten Krieg auslöste. Nur mit den Putzfrauen, die er ständig wechselte, hatte mein Vater seine Probleme, denn es waren Menschen - keine Parteigenossen. (Von der Partei ausgebildete Hausangestellte gab es noch genauso wenig wie ausgebildete Russischlehrer.) Sie wunderten sich, dass seine Kinder nicht das gleiche Essen bekamen, nicht in alle Zimmer gehen durften, nicht mit den Nachbarn reden durften, keine Freunde haben durften, selbst miteinander nicht frei reden durften, sich zu nichts äußern durften und nur demütigende Strafarbeiten zu machen hatten etc. Sobald sie sich laut darüber wunderten flogen sie raus und die nächste kam. So ging das jahrelang. Mir taten solche Dinge sehr weh, dass ich keinen Freund haben konnte, ja nicht einmal mit dem Hund des Nachbarn spielen oder Radio hören durfte. (Noch heute wollen mich seine treuen Genossen von der Welt abschirmen, indem sie meine Veröffentlichungen zu verhindern versuchen.)

 

Mein Vater, Dr. Kurt Willimczik, mit seiner Freundin Hildegard Högerle.

Wer hätte gedacht, dass dieser unscheinbare Mann vom Reichspropagandaministerium 5 Jahre später schon wieder vor einer historischen Aufgabe steht und Unterlagen für den Beginn des Kalten Krieges in seiner unscheinbaren Aktentasche hat.

 

 In diesem Haus hatten wir uns einmal wohl gefühlt; jetzt setzte er sich selber und seine Freundin aus dem Westen (Tochter eines Kapitalisten) in dieses Haus, und warf uns alle nacheinander raus.



Immetraut, ich, Hildegard Högerle. Unser Haus in Blankenfelde, August Bebel Straße 112.

Hier wird meine Schwester Immetraut verabschiedet und aus dem Haus gewiesen.

 

Die neue Karriere - nun in rot statt braun - meines Vaters und der Korea Krieg konnten nun beginnen - und wir Kinder hatten dem Ganzen als junge Pioniere bzw. FDJLER zuzujubeln. Auf keinen Fall durfte in der nun jungen und aufblühenden sogenannten "DDR" über die Vergangenheit der uns nun führenden Genossen gesprochen werden, dass sie nichts weiter als Polizistenmörder etc waren, dass die neuen Parolen von jemandem aus dem Reichspropagandaministerium geschrieben wurden. Auch solche Bilder, die meinen Vater zwischen Speer und Hitler zeigen, gab es nicht.
Niemand wusste, was in unserem Haus geschah, zumal der Blick ins Innere durch eine überdimensionale rote Fahne vor den Fenstern versperrt wurde. Mein Vater wehrte damit alle bösen Geister ab, wie ich glaubte. Tatsächlich hat es nie ein Einbrecher gewagt, uns zu besuchen. Die Rote Fahne hatte also mehr magische Kräfte als alle Wundermittel gegen böse Geister zusammen genommen. Nur manchmal flackerte etwas auf, das aber sofort und mit allen Mitteln wieder unterdrückt wurde. So wollte mein Nachbar mir einen Rasenmäher borgen, als er sah, dass ich den Rasen mit einer Papierschere zu schneiden hatte. Er wurde strengstens von meinem Vater zurecht gewiesen und hat sich seitdem nie wieder in den souveränen Haushalt des Parteisekretärs eingemischt. Wir durften seitdem nicht mehr miteinander reden. Ich kam nie mehr dazu sie zu fragen, ob sie vielleicht gesehen hätten, wer meine Mutter abgeholt hatte. Eines Tages bzw. Nachts waren sie dann verschwunden. Ich habe nie wieder etwas von ihnen gehört. Ich weiß heute noch nicht, ob sie nach West-Berlin geflüchtet sind, oder ob sie abgeholt wurden, weil sie eine ernste Gefahr für die sozialistische Erziehung der Kinder eines Parteisekretärs geworden waren...Man darf diesen Vorfall nicht falsch verstehen; es war keinesfalls eine Strafarbeit für mich, sondern nur eine der vielen täglichen Anordnungen eines Parteisekretärs wie was zu machen sei - dies war Alltag und streng logisch für einen Parteisekretär. Er wusste, dass eine Schere ein Schneidinstrument ist und wusste ebenfalls, dass man zum Rasenschneiden ein Schneidinstrument braucht. Damit war allerdings das technische Wissen eines Parteisekretärs erschöpft. Es reichte aber aus, seinem Sohn eine Papierschere (Ein Schneidinstrument zum Schneiden war die einfache lineare Logik) in die Hand zu drücken - mit dem Befehl, der selbstverständlich bei Strafe nicht diskutiert werden durfte, den Rasen zu schneiden. Ich hatte mich erst wieder zu melden, wenn dieses - mein Planziel erreicht worden war. (Vorher gab es auch nichts mehr zu Essen.) Genauso wurde später in den VEB-Betrieben regiert, die alle ebenfalls einen Parteisekretär bekamen, der jede andere Anordnung überschreiben konnte. Wenn westliche Firmen dann nach dem entstandenen Schaden aushelfen wollten, musste jede Hilfeleistung ebenfalls abgelehnt werden. Mein Vater hatte diese neue Methode erfunden, an seinen Kindern im Laborversuch getestet und in die sozialistische Praxis eingeführt. Wer war besser geeignet, solch umwälzende Veränderungen herauf zu beschwören als ein Experte aus dem Reichspropagandaministerium? Er war der Mann, dem alle folgten. Wenn jemand diesen Anordnungen, die jeder gesunden Logik strotzten, widersprach, wurde er eingesperrt, aber bei guter Führung (oder weil man ihn einfach im Betrieb brauchte) wieder entlassen. Einige Fehler wurden wieder korrigiert. Wenn er dann sagte, "dass hatte ich euch doch gleich gesagt", wurde er wieder eingesperrt. Das Spiel begann von neuem. Es war das gleiche Spiel, das zwischen Vater und Sohn gespielt wurde, nur in einer größeren Arena, um die man dann eine Mauer ziehen musste, weil die Mitspieler sonst alle weggerannt wären. Die Parteisekretäre hätten sich am Ende nur noch alleine die Bälle zuwerfen können. Tatsache ist, dass man in der "DDR" ständig mit der Beseitigung von Problemen beschäftigt war, die es in einer freien Gesellschaft überhaupt nicht gibt. Das Einzige, was in der "DDR" im Überfluss produziert wurde waren Klassenfeinde, denn jeder, der nicht genau auf der roten Linie lag, war einer. Mit meiner ersten Erfindung wurde auch ich zum Klassenfeind - ich wusste es nur noch nicht.

Besonders mir traute mein Vater nicht und hatte sich speziell für mich ganz besondere Dinge ausgedacht für die ich keine Worte finde. Das konnte auf die Dauer nicht gut gehen. Deshalb versuchte er mich an irgend jemanden in Westberlin, der offensichtlich guten Kuchen backen konnte, zu verkaufen. (Wenn ihm das doch nur gelungen wäre!) Mich nahm aber keiner, ich sah wahrscheinlich immer noch zu verhungert aus. Außerdem hatte er mit diesem Versuch seine Kompetenzen übertreten, wie ich später aus Kreisen des SSD hörte. Allein der SSD hatte das Monopol für Menschenhandel. Wenn er mich los werden wollte, könnte der SSD helfen, wurde ihm aber gesagt... Sie machten einen Handel. Seitdem betrachtete der SSD mich (und später meine Erfindungen) als ihr Eigentum und plante für mich das, was das Beste sei - für die Interessen des SSD. Mein Vater hatte mich nun, anstatt an fremde Leute, heimlich an den SSD verkauft! Dies war schlimmer als ein Pakt mit dem Teufel, denn von nun an bestimmten die Genossen des SSD mein Schicksal, was sie sogar noch bis ins nächste Jahrtausend hinein versuchen. (Der Teufel selber ist auf der Flucht, seitdem die Kommunisten zur Hölle fahren.)

Ich war verraten und verkauft - ich wusste es nur noch nicht.

Auch wenn ich damals nicht verstand, was hier gespielt wurde, vertiefte sich zwangsläufig der Hass zwischen Vater und Sohn; dazu bekam mein Vater langsam immer mehr Angst vor mir und versuchte krampfhaft es nicht zu zeigen. Ich wurde nur noch wie ein lästiger Gefangener gehalten und bekam mein Zimmer im Keller. Für mich hatte er sich ein ganz besonderes "Erziehungsprogramm" ausgedacht, was sich grundsätzlich nicht beschreiben läßt. Er konnte sich Dinge ausdenken, die für normale Menschen einfach unvorstellbar waren. Kurz, er verdarb mir jeglichen Spaß am Leben. Wir bekamen eine Hausangestelltin, Frau Bortz. Sie war wie eine Mutter zu mir, sie ließ mich nicht hungern, während mein Vater darauf achtete, dass ich nie genug zu essen hatte. "Es reicht nicht für alle", sagte er. So schlug ich vor, dass im steten Wechsel immer einer von uns sich satt essen durfte. Das lehnte er ab. Frau Bortz hielt das für einen guten Vorschlag. Wir machten es sogar eine Weile, bis er sie rauswarf. Ich durfte sie nicht einmal mehr besuchen. Als ich es doch tat, schickte sie mich selber wieder weg. Sie dürfe das nicht. Was hatte mein Vater nur für geheimnisvolle Kräfte. Er verwandelte die besten Menschen in ihm gehorchende Maschinen. Das war die Kraft der SED. Freunde, Nachbarn, mit denen ich mich gut verstand, mieden mich alle - nachdem sie eine Unterredung mit meinem Vater hatten. Ein Nachbar wagte es einmal sich einzumischen. Er wollte mir einen Rasenmäher borgen, als er sah, dass ich den Rasen mit einer großen Papierschere schneiden mußte. Er wurde streng zurecht gewiesen. Was ich zu tun hatte war keine Strafe, auch nicht durch einen Mangel verursacht; das war schlicht und einfach seine Erziehungsmethode, und dabei blieb es. Dass ich nicht genug zu essen bekam war auch Methode, schon längst kein lebensbedrohender Mangel mehr in den Fünfzigern. Später fragte ich meinen Vater doch einmal, warum er immer die Butter und Wurst isst, und wir Kinder Margarine-Stullen mit der berüchtigten Einfruchtmarmelade bekamen. "Margarine ist gesünder für euch", war seine lakonische Antwort. Er war mal wieder der Zeit weit voraus.
Seine Macht wuchs ins Unermessliche, denn der SED-Parteisekretär von Blankenfelde hieß jetzt Dr. Kurt Willimczik. Ich war jetzt der Sohn des Parteisekretärs! Ich merkte das daran, dass ich in der Schule nun regelmäßig Klassenkeile bekam. Ich bezog die Prügel, die eigentlich für ihn bestimmt waren, weil es keiner wagte ihn anzufassen.
Da Radio hören für mich verboten war, baute ich mir aus alten Armeebeständen, die im Keller herumlagen, einen einfachen Detektor-Empfänger und steckte einen Ohrhörer in mein Kopfkissen. (Es war der einfachste Empfänger der Welt.) So konnte ich unter seinen Augen die Schlager der Woche, die Insulaner, die Ratesendungen von und mit Hans Rosenthal, "Es geschah in Berlin" und Onkel Tobias vom RIAS (Rundfunk im Amerikanischen Sektor) hören, der der stärkste Sender war. Es war der gleiche Kopfhörer, mit dem mein Vater im Kriege die Siegesmeldungen gehört hatte. Er hatte nie einen Verdacht bekommen; hatte mir das auch nicht zugetraut, denn selbst konnte er nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen. Dies ging lange gut. Die Hausangestelltinnen waren immer auf meiner Seite. Wenn er weg war sielte ich ihnen auf dem Klavier "Wer Klavier spielt hat Glück bei den Frauen" vor und es wurde lustig in dem Haus. Um sie zu verführen war ich noch etwas zu klein, aber ich konnte ja schon mal üben... Sie flogen aber alle nacheinander wieder raus. Bis die Partei eingriff und ihm eine Genossin ihres Vertrauens verschaffte. Jetzt hatte er endlich eine gefunden, die für ihn spionierte; sie war eine vertrauensvolle Genossin. Als sie die Bettwäsche wechselte flog die Sache auf und er nahm mir alles weg. Ich baute mir aber sofort einen neuen Empfänger. Er war verblüffend einfach und bestand nur aus drei Teilen. Etwas Draht als Erde und Antenne, dazwischen eine Art Diode (Serutor) und eine Hörmuschel. Ich war sehr erfinderisch. Als mein Vater merkte, dass er so nicht weiterkam, fragte er seine Genossen um Rat. Die brachten ein kleines Radio mit zwei fest eingestellten Ost-Sendern heraus. Es hatte den schönen Namen "Kolibri". Das schenkte er mir. Ich bekam regelmäßig Bauchschmerzen, wenn ich diese Sender hörte. Das ging nicht so weiter. Ich nahm es auseinander und hatte am nächsten Tag einen Drehknopf installiert, mit dem ich alle Mittelwellensender empfangen konnte. Stolz zeigte ich ihm, wie einfach man unsere sozialistischen Produkte verbessern konnte. Er war sprachlos. Er dachte sicherlich das gleiche wie ich, "So geht das nicht weiter". Wir waren ständig miteinander im Krieg. Er schloss mich in mein Zimmer ein und sagte, ich solle Russisch lernen. Ausgerechnet die Sprache derjenigen, vor denen er weggelaufen und sich ständig in die Hosen geschissen hatte! Mein Vater hatte nun völlig den Verstand verloren. Ich bastelte, das war das beste, was ich aus der Situation machen konnte. Ich baute kleine Flugzeuge, einen Motor und auch eine Rakete, die mir allerdings schon auf der Startrampe explodierte, aber das passierte sogar den Erwachsenen... Ich baute ein Modell der Super-Konstellation und schenkte es meiner Stiefmutter. Ich war so stolz drauf. Ich hatte sogar einen Ständer dazu gemacht, damit sie es sich auf ihren Schreibtisch beim Ministerium für Kultur stellen konnte. Ich dachte, es wäre das richtige Geschenk; solche Flugzeuge waren ja ständig über Berlin in der Luft. Ich wusste nicht, warum sie so schockiert über mein Geschenk war... Die Amerikaner flogen gerade die Luftbrücke, um das nun völlig eingeschlossene West-Berlin aus der Luft zu versorgen. Der Kalte Krieg war im vollem Gange und ich wusste damals nicht, dass auch meine Stiefmutter, Hildegard geb. Högerle, drin verwickelt war. (Das Ministerium für Kultur hatte den Kalten Krieg begonnen.) Jetzt durften wir nicht nur mit anderen nicht mehr reden, sondern die Geschwister auch untereinander nicht mehr. Meine Schwester Annebärbel hatte in ihrem Zimmer zu bleiben. Als meine Stiefmutter sie dann doch einmal in meinem Zimmer erwischte, setzte es wieder eine Tracht Prügel. Damit ich nicht mehr auf dumme Gedanken kam, beschäftigte er mich nun mit jeder erdenklichen Arbeit, wie Holz hacken, Gartenarbeit, Jauche pumpen, Noten abschreiben, Schrott sammeln, Geld für die Partei sammeln, Fahnen raus hängen und Stühle für die Parteiversammlungen hinstellen und Gedichte für die Genossen aufsagen; kurz, das komplette Programm sozialistischer Erziehung.

 

Ich beim Bäume fällen.

 Ich hatte nun ständig Schwielen an den Händen, aber nie genug zu essen. "Erst besser arbeiten, dann besser leben," hieß die Parole und ich tat alles, dass ich einmal besser leben könne.

Dies alles hinterließ aber keinen bleibenden Eindruck. Mit der Arbeit wurde ich fertig. Schlimm waren die entwürdigenden, unmenschlichen Dinge und dass er es immer wieder irgendwie schaffte, dass alle anderen dachten, ich würde mit meinem Vater unter einer Decke stecken, denn dadurch wurde mir schon von vornherein ein Kontakt zu normalen Menschen unmöglich gemacht. Mit meinem Vater hätte sich kein Einziger abgegeben, nicht einmal ein Hund, (Sie wichen ihm alle aus.) wenn nicht die Gewalt der Partei hinter ihm gewesen wäre. (Hunde wichen ihm tatsächlich aus. Wie Hitler war mein Vater keine auffallende Figur, trotzdem verbreitete auch er eine eigenartige Atmosphäre, die jedes Lachen sofort verstummen und alle Hunde in die Ecken kriechen ließ. Er verbreitete schon Furcht und Schrecken ohne ein einziges Wort gesagt zu haben. Dies waren keine übersinnlichen Kräfte, sondern einfach die Kraft der Partei, die er als Parteisekretär von Blankenfelde bekommen hatte. Er war die Faust der Arbeiterklasse, die auf den Klassenfeind hernieder sauste. Er war der personifizierte Rote Terror. Selbst andere Genossen fürchteten ihn. Bei seinen Parteiversammlungen wusste ja auch niemand vorher genau ob er heute eine Auszeichnung bekam oder anschließend abgeholt wurde. Wie viele Unschuldige er ins Gefängnis - oder ins Krankenhaus einliefern ließ weiß niemand. Nach einigen Jahren wusste aber jeder Hund im Ort, dass man ihm besser aus dem Wege ging.)

Mein Versäumnis war es, mich nicht scharf genug - und für alle sichtbar - von ihm zu distanzieren. Leider war ich nicht aggressiv und ließ mir viel zu viel gefallen. So fuhr er mit seiner sozialistischen Erziehung, gestützt auf seine Erfahrungen aus dem Reichspropagandaministerium fort: "Lasse ihn niemals das machen, was er will. Gib ihm niemals das, was er will. Zerstöre ihm das, was er am meisten liebt - oder besser noch, lasse ihn es selber zerstören, was der Gipfel der Menschenführung war. Raube ihm seinen eigenen Willen und mache ihn zu einem willenlosen Werkzeug der Partei." Er selbst hatte diese Behandlung durchgemacht, was in der Ermordung meiner Mutter gipfelte. Warum sollte er also diese bewährte Methode nicht auch an seinem Sohn anwenden?
Sein Sohn hatte zu lernen das zu zerstören, was er gerade am meisten liebte. Freunde durfte ich nicht haben; mit dem Hund des Nachbarn durfte ich nicht spielen, Radio durfte ich nicht hören - so gab es nicht mehr viel in meinem Leben, was er mir nehmen konnte. Wir hatten einen herrlichen Süßkirschbaum in unserem Garten. Er wusste, dass wir Kinder jedes Jahr sehnsüchtig auf die reifen Kirschen warteten. Spielende Kinder unter einem Kirschbaum war nicht das Bild, was der Parteisekretär zeigen wollte. Er war beim "Umgestalten." Sein Haus strahlte keinerlei Nestwärme aus, es wurde zu einem Bollwerk des Sozialismus für den Kalten Krieg gemacht. Und sein Sohn erzog er zu einem Frontkämpfer, der sich ohne Rücksicht auf Verluste auf den verhassten Klassenfeind stürzen wird. (Allerdings war er sich bei mir nicht so sicher, auf wen ich mich eines Tages stürzen werde, denn er vermittelte mit allem was er tat ein eindeutiges Feindbild für mich...) Dies war seine Philosophie und Propaganda - und sie wirkte. Wenn ich die Stufen am Eingang zum Ministerium für Kultur hinauf ging, wurde ich durch riesige in Stein gehauene Löwen in einer Drohgebärde eingeschüchtert. Man bekam automatisch das Gefühl, dass man hier zu seiner eigenen Verurteilung und Hinrichtung schritt. Er kopierte alles aus diesem Ministerium des Kalten Krieges für sein Haus und seine Familie. Es war ein Haus in dem nicht getuschelt werden durfte; für Kichern wurde man schon hart bestraft. Es gelang ihm allen Angstgefühle einzuflößen. Selbst ein Hund, den ich manchmal heimlich mitbrachte, wenn er nicht da war, traute sich in diesem Haus nicht mehr zu bellen. Er schnüffelte nur ängstlich an den verschlossenen Türen, die er immer abschloss bevor er wegging. Die Einschüchterung taten außen die überdimensionalen roten Fahnen und innen seine schweren schwarzen Eichenmöbel, die einen von oben herab aus runden Butzenscheiben wie aus finsteren Augen anstarrten. Wenn er mich zu sich rief , sass er hinter einem schweren übergroßen Eichentisch und gab seine neuen Befehle. Das wirkte. Zwei Löwen - dieses Mal in Eichenholz - gaben seiner Machtdemonstration den richtigen Rahmen. Nur er selber war etwas klein geraten. Er hätte sich - wie es Hitler immer getan hatte - auf ein Podest setzen sollen. Dies änderte aber nichts an seiner wirklichen Machtbefugnis, die mir grenzenlos schien, denn er konnte nicht nur jedem Lehrer alles befehlen, sondern auch die Polizei nach seiner Nase tanzen lassen; dies wusste ich. Ich sah keine Macht in der Welt, die dieses Ungeheuer aufhalten konnte. So befahl er mir genau den wunderschönen Kirschbaum zu fällen - und ich musste es ausführen. Da half kein Jammern und Gezeter, der Baum mußte weg, weil er "zu viel Schatten warf". Die Nachbarn schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, als sie den gefällten Baum sahen. Für meinen Vater war dies ein wichtiger Test bei der sozialistischen Erziehung seines Sohnes. Heute ist es ein Baum, morgen ein Tier - und später einmal ein Mensch. Nun wusste mein Vater, dass ich für das Internat in Wiesenburg reif war. Es war meine Aufnahmeprüfung gewesen, ich hatte es damals nur nicht gewusst.
Die Kommunisten brauchten solche Befehlsempfänger, die blind nicht nur unsinniges Zeug machten, sondern willig das zerstörten, was sie am meisten liebten. Er hatte meine Mutter ja auch nicht gehasst, als seine Genossen sie umbrachten. Für die Kommunisten war sie selbst schuld; sie hätte ja nur zu unterschreiben brauchen. Wo gehobelt wird, da fallen Späne - und die Kommunisten hatten viel zurecht zu hobeln - bei dem, was sie Aufbau des Sozialismus nannten. Wie bei jedem gewöhnlichen Mord hatten auch die Kommunisten ein höheres Ziel im Auge. Außerdem war ein erfahreber Mann aus dem Reichspropagandaministerium für die Kommunisten viel mehr wert als eine Lehrerin, die den Schülern Mathematik beibringt.

weiter