Das Attentat

Der SSD schlägt zu

 

Die Jagd nach den Unterlagen und dem Geheimnis seiner fliegenden Untertasse ging weiter.

Die nicht ganz erfolgreichen Vernehmungen des Erfinders durch den Genossen Dr. Schelle sollten von einem erfahrenen Mann im Gefängnis fortgesetzt werden, wo mehr Druck auf den Erfinder ausgeübt werden konnte. Die Genossen stritten sich, ob der Erfinder als Terrorist, Mörder, Entführer oder als Spion ins Gefängnis gebracht werden sollte. Hauptmann Wagner schlichtete den Streit, indem er befahl alle Varianten vorzubereiten und je nach Bedarf auch durchzuführen.

Für die einzelnen Punkte waren in gleicher Reihenfolge die Genossen Wolfgang Grams, Alain Witzl, Gudrun Adams und Mariella Bures zusammen mit Genossin Schelle/Milazzo verantwortlich, wobei Norbert Weber sie alle aus dem Hintergrund aus unterstützen sollte. Sie sollten ohne Rücksicht auf eigene Verluste vorgehen.

Wenn bei einer solchen Aktion Dutzende seiner eigenen Leute mit verhaftet würden, nahm Hauptmann Wagner dies in Kauf - Opfer müssen gebracht werden - für den Sieg des Sozialismus. Sie hätten dann alle die Aufgabe, den Erfinder als Haupttäter zu belasten.

Man begann der Reihe nach. Als Terrorist spielte der Erfinder nicht richtig mit, obwohl sich Wolfgang Grams mit seinem Kollektiv von Terroristen alle Mühe gab. Er versuchte, aus seinem Haus in Esting einen Terroristentreff zu machen, er lud den Erfinder auch zu bestimmten Aktionen ein, die alle harmlos begannen. Im entscheidenden Moment war der Erfinder aber jedesmal verschwunden.

Als zweiter bekam Alain Witzl seine Chance, den Erfinder dorthin zu bringen, wo ihn Hauptmann Wagner hin haben wollte. Er sollte einen Mord begehen, bei dem sämtliche Spuren zu dem Erfinder führten sollten.

Dabei wollte Hauptmann Wagner zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Den Ehemann der Genossin Adams wollte er bei dieser Gelegenheit los werden, da er ihr immer hinterher lief, wenn sie gerade an einem Auftrag arbeitete und nur mit Mühe (mittels eines Verkehrsunfalls und dgl.) zurückgehalten werden konnte.

Die Kooperationsbereitschaft der Polizei war gesichert - der Polizeibericht schon vorgefertigt.

Alles war generalstabsmäßig geplant, sodaß nichts schief gehen konnte. Die Genossin Adams hatte darauf zu achten, dass der Erfinder schlief, während Genosse Witzl mit seinem Mercedes zu der verabredeten Stelle fahren sollte, wo ein anderes Team mit dem Ehemann nebst Kind wartete.

Alles verlief planmäßig, nur wollte der Mercedes nicht anspringen. Er probierte so lange bis die Batterie leer war. (Von den Leuten auf dem Hof hatte er nichts zu befürchten, die waren alle auf seiner Seite.) Er konnte es nicht glauben, weil er Stunden vorher selber mit diesem Wagen gefahren war und der Motor immer sofort ansprang.

(Warum sein Motor immer nur anspringt, wenn er es will, weiß nur der Erfinder selber. Wir konnten es nie herausfinden, obwohl wir später in den USA die Gelegenheit hatten, seinen Wagen monatelang gründlich zu untersuchen.)

Genosse Witzl machte das Beste aus der verfahrenen Situation, indem er einen Autoaufbruch vortäuschte, um eine falsche Spur zu legen. So war auch diese Chance vertan.

Als nächstes sollte er auf frischer Tat beim Spionieren bei der Knorr-Bremse GmbH ertappt werden.

Ein Datensichtgerät wurde extra vor seiner Nase an seinem Arbeitsplatz installiert und seine Kollegin Bures ermunterte ihn, es zu benutzen. Man wollte ihn auf "frischer Tat" ertappen - seine Fingerabdrücke auf der Tastatur finden. Aus irgendeinem Grunde faßte er sie aber nie an.

Die Terroristen-Variante hatte der Erfinder zerschlagen, weil er nicht mitspielte; die Mord-Variante gelang nicht, weil sein Mercedes nicht mitspielte; in die Falle bei der Knorr-Bremse GmbH tappte er auch nicht. Wir brauchten also eine sichere Variante, die völlig ohne ihn funktionierte. Es gab so viele Unschuldige, die in den Gefängnissen saßen, es sollte uns also bei dem einen auch irgendwie gelingen, zumal wir viele Genossen bei Polizei, BLKA, BND und sogar an höchster Stelle in der Justiz hatten - und natürlich jede Menge Zeugen, die alle falsche Aussagen machen würden. Dem Erfinder wurden trotz der Rückschläge keine Chancen eingeräumt.

 

Das Haus in Olching/Esting war zu groß für mich alleine. Manchmal fühlte ich mich einsam. Von meiner Familie konnte ich nur träumen. Freunde hatte ich noch nicht in Bayern. Auf dem Hof der Schabenbergers konnte ich keine Freunde machen. Die ganze Familie Schabenberger war aus sehr grobem Holz geschnitzt und abweisend feindlich gesinnt. Mein Nachbar machte immer ein so finsteres Gesicht, dass ich es nicht wagte ihn überhaupt anzusprechen. Außerdem behandelte er seinen Sohn wie ein Kommunist, nämlich genauso wie mein Vater mich drangsaliert hatte. Schon deshalb wollte ich mit ihm nichts zu tun haben.

In die Eintönigkeit der Tage tauchte Gudrun plötzlich wieder auf.

Ihren Namen hatte ich schon gestrichen gehabt. Da stand sie plötzlich wieder vor mir - mit einem so unschuldigen Lächeln, dass niemand sein sagen konnte, ich auch nicht. Wer sollte diese Frau verstehen - ich jedenfalls nicht. Hing sie so an mir oder trieb ihr Mann sie immer wieder aus dem Haus? (Ich ahnte immer noch nicht, was hier gespielt wurde.)

Ihren Sohn hatte sie nicht mitgebracht, eigenartigerweise aber einige seiner Sachen. Ich dachte mir nichts Böses dabei.

Während ich tagsüber bei der Knorr-Bremse GmbH war, wußte sie nichts mit sich anzufangen. Meine Vorschläge lehnte sie alle kategorisch ab. So konnte ich ihr nicht helfen.

Sie war den ganzen Tag alleine in dem Haus und fühlte sich nicht wohl. Die Schabenbergers würden ums Haus schleichen und sie beobachten. Auch hatte sie Angst rauszugehen, weil sie ihr den Weg vertraten. Sie war nicht der Typ, der sie dabei auslachen konnte. Die Schabenbergers neigten in der Tat sehr zu Gewalttätigkeiten. Das war aber offenbar ihre normale Umgangsart, die sie sich beim Umgang mit störrischen Rindviechern angeeignet hatten. (Es geschah öfters, dass sich die SSD-Agenten um mich herum gegenseitig beschnüffelten und manchmal dabei auch in Streit gerieten, weil ihnen die Führungsoffiziere nicht immer gesagt hatten, wer auf ihrer Seite war und wer nicht.)

Gudrun wollte meinen Mercedes haben, damit sie am Tage damit umher kutschieren konnte. Das wäre das Einzige, was ich für sie tun könnte. So gab ich ihr meinen Mercedes und fuhr mit der S-Bahn zur Arbeit.

Das war aber noch nicht alles. Eines Tages war Ali auch noch da. Natürlich schlief er auch bei mir, was mir gar nicht recht war, aber höflich wie ich war, waren ihre Freunde auch meine Freunde. Ich hoffte aber im Stillen, dass er bald wieder verschwinden würde. Morgens fuhren wir nun alle gemeinsam nach München. Vor der Einfahrt zur Knorr-Bremse stieg ich aus und überließ den beiden meinen Wagen für den ganzen Tag, damit sie sich in München die Langeweile vertreiben konnten.

 

 

Das gefiel ihnen offenbar, zumal sie von mir alles umsonst bekamen. Ohne mein Zutun, war die Zeit an den Wochenenden plötzlich auch ausgefüllt. Zusammen mit anderen machten wir Ausflüge in die Alpen. Kopf dieser Gruppe war Wolfgang Grams, der sich rührend um alles kümmerte und erstaunlich viele Freunde hatte. Nur in die Steilwand ging ich nicht mit. Dazu müßte man seinen Kameraden trauen. Ich traute aber keinem aus dieser Gesellschaft. Gudrun traute ihnen dafür voll und ganz und lud sie alle zu uns zu einer Fete ein und bediente alle gut (natürlich nur von meinem Geld). Es waren so viele, dass sie auf dem Boden sitzen mußten, was sie aber scheinbar schon gewöhnt waren. alles eigenartige junge Leute. Ihnen gefiel mein Haus. Sie wollten öfters kommen - es zu einer "Drehscheibe" machen, weil ihnen in München/Schwabing, wo sie eine Wohngemeinde hatten, der Verfassungsschutz auf den Fersen wäre.

Was wurde hier gespielt, wunderte ich mich. Sie mußten offenbar denken, dass ich einer der ihren sei, wenn sie so frei redeten. Ich ließ sie nie wieder in mein Haus. Mit mir konnte man zwar alles machen, aber immer nur einmal. (Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass sie tatsächlich vor gehabt hatten, aus mir einen Terroristen zu machen, was Genosse Weber später in seiner Aussage auch bestätigte. Wolfgang Grams konnte nichts mehr dazu sagen, da er - wie bekannt ist - erschossen wurde.)

 

 

Jetzt war ich vom SSD vollständig umringt, bei der Arbeit, zu Hause und am Wochenende in den Alpen. Auch bei der Gemeinde Olching hatte der SSD jemanden, nur nicht bei der Polizei Olching, weshalb der SSD die Polizeistation in Gröbenzell um Mithilfe bat - und mit dem Polizisten Erhard auch bekam. (Sie fanden ihn über die Fußballclubs, (Erhard, Schabenberger jun und andere spielten zusammen Fußball) Außerdem warteten hohe Genossen beim BLKA, beim BND und der Staatsanwaltschaft auf den Startschuß - nicht zu vergessen die Tennismannschaft in Gernlinden. Dieses Szenario war ganz nach dem Geschmack eines Hauptmann Wagner. Jetzt konnte er zum Angriff blasen. Ein derartig starkes sozialistisches Kollektiv von Verschwörern hätte er in Berlin nie zusammen bekommen.

Dann viel der Startschuß. Der Ehemann von Gudrun nebst Kind wurden herangeschafft. Alles war arrangiert, das Kapitalverbrechen zu begehen und gleichzeitig sofort "aufzuklären". Mich wollte man noch im Schlaf als "Täter" überwältigen. Danach hätten "zuverlässige Zeugen" gesehen, wie ich mit meinem Mercedes Herrn Adams getötet hätte.

Ein hoher Offizier des BLKA/SSD würde mir lebenslängliche Haft androhen, wenn ich die Geheimnisse meiner fliegenden Untertasse nicht preisgäbe. Ansonsten würden sie mir meine Behauptung, dass alles vom SSD arrangiert worden wäre, einfach nicht glauben, denn der SSD mache solche Dinge nicht grundlos.

Mit der Ermordung von Herrn Adams würde der SSD gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn er war es, der ständig seiner Frau hinterher fuhr und so die ganze Operation gefährdete.

(Als er nach Berlin fahren wollte, konnte er nur noch mit einem "Verkehrsunfall" aufgehalten werden.)

Um dies Wirklichkeit werden zu lassen, warteten alle im Dunkel der Nacht auf meinen weißen Mercedes, der jeden Moment kommen sollte, weil er dabei die Hauptrolle zu spielen hatte.

Zur Enttäuschung aller kam mein Wagen mit dem Genossen Witzl nicht - und das bei diesen umfangreichen und gründlichen Vorbereitungen! Die Genossen waren außer sich. (Eigentlich hätten sie es ahnen können, denn ich hatte jahrelang im Gefängnis auf die gleiche Art und Weise mit ihnen Schach gespielt gehabt, wobei sie kurz vor dem Sieg regelmäßig verloren hatten.)

Was war nun geschehen? Warum hatte mein Mercedes nicht mitgespielt?

Es war nicht zu übersehen, dass Gudrun und Ali etwas miteinander hatten. Gudrun fühlte sich zu ihm offensichtlich mehr hingezogen als zu mir. Dabei benutzten sie mein Haus und mein Auto - natürlich alles umsonst. Gutmütig wie ich nun einmal war, machte ich das eine Weile mit. Dann verlangte ich, dass Ali ging. Dann würde sie auch gehen, war die schroffe Antwort. Ach so war das also - beide oder keiner. Sie schliefen nun zusammen unten - ich alleine oben. Das machte es nun für mich leichter, sie beide rauszuwerfen. Ich nahm es mir vor, schob es nur von einem Tag auf den anderen vor mir her. Ich mag nun mal keine Konfrontationen.

Eines abends kam sie wieder in mein Bett gekrochen. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Jetzt war ich aber gerade zu müde, um nachzudenken und wollte erst einmal ausschlafen. So nahmen die Ereignisse ihren Lauf, während ich fest schlief. Es war die Nacht zum 16.10.1979.

Am selbigen Morgen stellte ich dann fest, dass einige Sachen aus meinem Wagen fehlten. Meine Wildlederjacke mit meinen Papieren war weg, mein Autoatlas und einiges andere auch. Eigenartigerweise war mein kleiner Fotoapparat, den ich immer im Handschuhfach hatte, noch da. Noch eigenartiger war, dass die Batterie fast leer war, und die Zylinder voll Sprit waren. Jemand hatte offensichtlich mit meinem Wagen wegfahren wollen, wußte aber nicht, dass das nicht ging, wenn ich es nicht wollte, selbst wenn er die Schlüssel hatte. (Davon wußten Ali und Gudrun natürlich nichts.)

Ich ging zur Polizei in Olching. Ali kam gleich mit. Das war mir auch recht, denn ich wollte, dass ihn jemand sah und vielleicht auch nach dem Ausweis fragte. Ich kannte ja nicht einmal seinen vollen Namen. Außer das Gudrun ihn "Ali" nannte, wußte ich nichts über den Mann, den Gudrun als "Freund des Hauses" bezeichnete. Ich befürchtete, dass es später diesen Mann überhaupt nie gegeben hätte. Irgendetwas sagte mir, dass er etwas damit zu tun hatte. Es wurde ein Protokoll angefertigt (Anhang 30-31 ) Die Polizei besichtigte auch den Tatort, fand aber keine sichtbaren Spuren. Ich hatte mir angewöhnt, meine Jacke mit meinen Papieren im Auto zu lassen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass es ein Dieb wagen würde, direkt unter den Augen der Schabenbergers ein Auto zu knacken. Die Parkplätze waren direkt hinter dem letzten Reihenhaus, wo die junge Familie Schabenberger schlief und gewöhnlich alles mitbekam, was direkt unter ihren Fenstern geschah. Ich konnte nie an mein Auto gehen, ohne dass sie es merkten. Ein Dieb an den Autos würde von ihnen nicht unbemerkt bleiben, zumal er offensichtlich lange versucht hatte, meinen Motor zu starten. Blieb nur eine Möglichkeit: sie steckten mit drin. Aber warum sollten sie...? Sie haßten meinen Wagen, und wollten ihn von ihrem Hof haben. Vielleicht wollten sie meinen Mercedes in einer Kiesgrube versenken; und aus Wut darüber, dass sie meinen Wagen nicht in Gang brachten, nahmen sie weg, was gerade herumlag.

Nein, die ganze Sache machte keinen Sinn. Ich verstand noch nicht, was hier wirklich vor sich gegangen war bzw. vor sich ging. Mir tat es nur um meine Fahrerlaubnis leid, die mir die Amerikaner ausgestellt hatten. Die war nicht zu ersetzen.

Offenbar aus Wut darüber, dass der Wagen nicht ansprang, entwendete der/die Täter die herumliegenden Sachen und täuschte einen Diebstahl vor. Aber wo waren die Sachen? Ich fand sie nie. Es lag nahe, dass es noch andere Täter gab - dass er nicht alleine handelte. Ich fühlte, dass der Täter ganz in meiner Nähe war. Gudrun hat ein Alibi, denn sie lag in meinem Bett, blieb nur Ali übrig, der auch noch die Schlüssel von meinem Mercedes hatte. Aber warum wollte er nachts heimlich mit meinem Wagen wegfahren, wenn ich den beiden sowieso meinen Wagen immer gab? Die Beantwortung dieser Frage dauerte viele Jahre, wobei sich bestätigte: Der SSD wollte mich tatsächlich als Mörder ins Gefängnis bringen lassen, wo sie die Verhöre über meine fliegende Untertasse fortsetzen wollten.

Genosse Erhard beschrieb später den Weg, den Genosse Witzl mit meinem Mercedes nehmen sollte. Danach sollte er hinter den Häusern über einen Feldweg direkt auf die B 47 , dann auf die Autobahn Richtung München fahren, direkt in den Zuständigkeitsbereich des Polizisten Erhard, damit er die mit meinem Mercedes begangene Bluttat sofort aufklären konnte.

Der Verfassungsschutz, der offenbar auch mit zugegen war, bestätigte, dass Herr Adams mit Kindern aufgetaucht war.

(Diese Aktion war so wichtig für die Kommunisten, dass sie in meinem Fall sogar Hilfe bei sonst feindlichen Organisationen suchten. Sie handelten offenbar unter dem Motto: "Geheimdienste aller Länder - vereinigt euch.")

Geheimdienste aller Schattierungen hatten sich offenbar in dieser Nacht ein Stelldichein gegeben, während ich seelenruhig schlief. Was genau in dieser Nacht geschah, wissen nur sie - aber sie reden nicht.

Ali und Gudrun waren nach dieser Nacht sichtlich betroffen. Eigenartigerweise löste sich diese Betroffenheit bei ihnen auch nicht mehr, solange sie bei mir waren, obwohl nur mir etwas gestohlen worden war (nach dem damaligen Stand der Erkenntnisse.).

Ali merkte offenbar, dass ich etwas gemerkt hatte - er also nichts mehr zu verlieren hatte. So machte er einen letzten verzweifelten Versuch, wobei er seine wahre Identität nicht mehr leugnete. Er begann viel zu reden -so viel, dass man meinen könnte, er würde dafür von jemandem bezahlt. Mitten drin fragte er mich plötzlich, wie das denn nun mit meiner fliegenden Untertasse sei. Hier wachte ich auf, denn Hauptmann Wagner sprach nun direkt aus seinem Munde. Er ließ jegliche Scham fallen und wartete darauf, dass ich ihm alles erklärte.

Was, wenn ich die Polizei jetzt anrief? Würden sie ihn verhaften? Er war sich offensichtlich sicher, dass so etwas nicht passieren wird. Hatte der SSD die Polizei schon so fest in der Hand? (Nicht nur das, sondern auch mein Telefonkabel.)

Ich forderte ihn auf, mein Haus zu verlassen. Er ging aber nicht. ich mußte ihn also mit Polizeigewalt raus schaffen lassen. Bevor ich zu solch extremen Maßnahmen griff, wollte ich mich darüber mit jemandem beraten. Bei der Knorr-Bremse GmbH hatte ich niemanden. Ich fragte Wilhelm Müller, was ich tun könne. Er war ebenfalls ein ehemaliger Zellengenosse aus Cottbus, zu dem ich damals noch Vertrauen hatte. Er war schon immer der lächelnde Mann im Hintergrund gewesen, der schon in der Zelle in Cottbus die Wogen wieder glättete, wenn es die übrigen Zellengenossen zu bunt mit mir trieben. Eigenartigerweise hatten sie auch immer auf ihn gehört - so als ob er Befehlsgewalt über sie hätte. So bekam ich bei ihm den Eindruck, dass er auf meiner Seite wäre. (Die klugen Psychologen bei der Stasi hatten dies auch genau so vorgesehen gehabt.)

Jetzt schlug er mir als Lösung vor, am Wochenende eine Alpenfahrt zum Alpsee mitzumachen. Ich wußte zwar nicht, wie ich damit Ali aus meiner Wohnung bringen könnte, aber wundersamerweise funktionierte es, denn als ich wieder nach Hause kam, waren sie weg, allerdings nicht ohne mein Geld, meine Euroschecks und anderes mitzunehmen. Außerdem hatten sie noch für einige hundert Mark nach Frankreich telefoniert. (Solange Gudrun bei mir gewesen war, blieb mir nichts von meinem Gehalt. Ich mußte mir sogar Geld borgen - von Wilhelm Müller. Er wußte ja, was hier gespielt wurde und dass ich so ehrlich war, es auch zurückzugeben.)

Damit ich nach dem missglückten Attentat nicht zur Polizei ging beruhigte mich Wilhelm Müller und lud mich wieder zu einem Ausflug in die Alpen ein.

Sie ist eine der myteriösen Frauen, die bei mir zu schnell die Jalousien runter gelassen hatten.

 

Ich wußte es damals nicht genau, aber ich hatte mit Wilhelm Müller die Vorgesetzten der beiden Agenten in meinem Hause angesprochen gehabt, die ihnen sofort den Befehl gaben, auszuziehen. Die Polizei brauchte ich nicht mehr. Es war ja auch - genau wie in der "DDR" - ein Krieg zwischen dem SSD und den Verfolgten. Die Polizei würde sowieso nicht verstehen, was hier gespielt wurde, und vielleicht alles nur verschlimmern, was sich später voll bestätigen sollte.

Ich glaubte, mit diesem Rückzug des SSD konnte ich ihn endlich vergessen. Wie ich mich irrte! Es war nur eine Schlacht geschlagen - der Krieg aber ging weiter.

Nach dem mißglückten Attentat hatten die Genossen bei der Knorr-Bremse GmbH in München offensichtlich nicht mehr mit mir gerechnet. (Ich hatte ihnen nichts davon erzählt.) Ihnen war von anderen gesagt worden, dass ich nicht zurückkehren würde. Deshalb wußte Dr. Schelle nicht mehr, was er mit mir machen sollte. Für den Fall meiner Rückkehr hatte er keine weiteren Befehle von seinen Genossen bekommen gehabt, mußte nun improvisieren und entgleiste völlig. Er stellte mir die Aufgabe, einen Mülleimer zu erfinden. (Dies ist kein Witz, sondern belegbare Tatsache.) Ich kämpfte immer noch einen aussichtslosen Kampf, mein Projekt eines Verdichters zu retten, das zu tun, wofür ich eingestellt worden war. Es wurde eine Marktanalyse gemacht, die genügend Potential meiner Erfindung aufzeigte. Ich bekam auch endlich, und gegen den Willen von Dr. Schelle, eine Kontonummer für mein Entwicklungsvorhaben, trotzdem wurde kein einziges Teil des Verdichters gebaut. Dr. Schelle gewann diesen Machtkampf. Er war derjenige, der alles wieder zerschlug, was ich gerade aufgebaut hatte. Er hatte außerdem die Leitung des Betriebes hinter sich, sofern sie seine Genossen waren.

Ich hatte auch versucht, einen Kooperationsvertrag mit der TU-Berlin abzuschließen. Professor Hölz war dazu bereit, wie sein Schreiben zeigt (Anhang 33-35 ). Auch gab es schon eine gemeinsame Patentanmeldung mit der Knorr-Bremse GmbH und mir (Anhang 36 ). All meine Mühe war am Ende aber wieder für die Katz. Alles, was von meiner Arbeit zurückblieb, war eine Bemerkung von Frau Milazzo/Schelle, der Personalleiterin (richtiger Kaderleiterin) der Knorr-Bremse GmbH in München, (also der Frau, die mich eingestellt hatte) in den Akten des BLKA:

"...er telefonierte mit Gott und der Welt, brachte aber mit seiner angeblichen Erfindung nichts zustande..."

Andere Genossen bei der Knorr-Bremse GmbH bekamen nach dem mißglückten Attentat nun den Befehl, mich als Spion zu entlarven, damit jemand im Gefängnis die Verhöre von Dr. Schelle fortsetzen konnte.

Zu diesem Zweck wurde ein Bildschirmsichtgerät in meinem Raum installiert, wo man alles über die Knorr Bremse GmbH abrufen konnte. Frau Mariella Bures geb. Ryvolova in Gablonz/CSSR arbeitete damit. Ich hatte damit nichts zu tun; sie wollte mich aber dauernd dazu überreden. Sie tat es so leidenschaftlich - und mit solch konstanter Boshaftigkeit - dass ich den Eindruck bekam, dass sie jemand dafür bezahlte. Ich witterte Verrat, weshalb ich die Tastatur nie berührte, damit keine Fingerabdrücke von mir zu finden wären. In diesem Falle hörte ich auf meinen Instinkt. (Sie hatte mich ja auch schon in die Falle nach Esting geschickt gehabt, was ich nicht vergessen hatte.)

Außerdem interessierte mich an den ganzen Produkten der Firma nur die Frage, ob eine meiner Erfindungen schon dabei ist oder nicht. Mich interessierten nicht einmal die Gerüchte über das, was die Firma unter dem Deckmantel "Mittelpufferkupplung" alles in den Iran lieferte.

Jahre später bekam ich die Bestätigung dafür, dass ich völlig richtig lag. Frau Schelle/Milazzo bestätigt vor dem Untersuchungsorgan, dass dieses Datensichtgerät der Grund für den Spionagevorwurf gegen mich gewesen war.

Wenn das Attentat in Esting gelungen wäre, wenn es ihnen gelungen wäre, mich auf frischer Tat beim Spionieren zu erwischen, wären sie mich auf elegante Art und Weise wieder los geworden. Nachdem den Genossen nichts mehr einfiel, wie sie mich zu einem Spion machen konnten, wurde mir zur Weihnachtsfeier 1979 die Kündigung verkündet. Bei der Weihnachtsfeier 1979 wurde mir die Kündigung verkündet, und zwar von den gleichen Personen, die mich vorher vorsätzlich mit Versprechungen angelockt und eingestellt hatten. Einen Grund nannten sie nicht. Den sollte ich erst Jahre später aus den Untersuchungsakten erfahren und ließ meinen schlimmsten Alptraum zur Wirklichkeit werden...

Okay, ihr wollt also meine Erfindungen nicht, das hättet ihr gleich sagen sollen, dann wäre ich nicht erst nach München gekommen, dachte ich. Ich konnte nicht mehr zurück nach Berlin, das war nicht mehr so einfach. Mein Instinkt hatte mir zwar gesagt, behalte deine Wohnung in Berlin bis du genau weißt, was hier läuft. ich stand aber unter dem Einfluß von Gudrun und hatte sie gekündigt.

(Die Bedeutung der Kündigung war mir nicht bewusst. Ich ahnte nicht, dass genau wie in der "DDR", mich niemand mehr einstellen würde, und dazu noch aus den gleichen Staatsschutz-gründen!.)

In München waren mehr Betriebe, auch große wie Siemens und BMW sogar gleich nebenan. Die werden sich vielleicht auf meine Erfindungen freuen und bei dem Streit der lachende Dritte sein. Ich war überzeugt, dass ich schnell eine neue Arbeitsstelle finden werde. Bei Betrieben wie MBB (Messerschmitt Bölkow Blohm) mit militärischer Bedeutung bewarb ich mich bewusst nicht, weil ich Hauptmann Wagner keine Gelegenheit geben wollte, seine Drohung wahr zu machen und mich womöglich als Spion hinzustellen.

Alle meine Bemühungen, eine neue Arbeitsstelle zu finden, aber waren vergebens. (Ich hätte meine Telefonate von einer öffentlichen Telefonzelle aus machen sollen - dies war mein erster Fehler.) Jedesmal passierte das Gleiche: Beim ersten Gespräch war man freundlich und räumte mir Chancen ein. Dann hörte ich für etwa sechs Wochen nichts mehr. Ich fand heraus, dass so lange eine Personenüberprüfung dauert, weil die Betriebe erst an die inoffiziellen "Schwarzen Listen" herankommen müssen und dabei vorsichtig sein müssen, weil es diese Listen offiziell gar nicht gibt. Besonders große Betriebe wurden ja mit Agenten des SSD regelrecht überschwemmt. Der Staat war machtlos dagegen, deshalb halfen sich die Betriebe selber, indem sie schwarze Listen austauschten. Der SSD wußte dies und nutzte diese günstige Gelegenheit, meinen Namen auch auf die schwarze Liste setzen zu lassen. Die Kündigung durch die Knorr-Bremse GmbH war ein gegebener Anlaß dazu. Damit war ich schon in Gesamtdeutschland erledigt. Es gab keine Zukunft mehr für mich - ich wußte es nur noch nicht. (Die Institutionen, die Agenten entlarven sollten, waren ja schon fest in der Hand des SSD. Es gab praktisch keine Verfolgung des SSD in der BRD - im Gegenteil, die Agenten konnten sich der Hilfe der Genossen in allen Institutionen sicher sein. Sie fühlten sich in der BRD zu Hause.)

Ich rannte von Betrieb zu Betrieb und hörte nach den inoffiziellen sechswöchigen Überprüfungen immer nur das Gleiche: "Wir bedauern..."

Mein größter Alptraum, dass niemand mehr etwas von mir wissen wollte, schien Wirklichkeit zu werden.

Die Knorr-Bremse GmbH hatte mich nicht nur in eine Falle gelockt, mir nicht nur ungerechtfertigt gekündigt, sondern auch verhindert, dass mich irgendein Betrieb je wieder einstellte. Ich bin der letzte, der an so etwas wie eine Verschwörung glaubt. Die Tatsachen ließen aber eine andere Deutung gar nicht mehr zu.

Dafür hätte ich wirklich in der "DDR" bleiben können und wäre wenigstrens mit meiner Familie zusammen.

Bleibt die Frage, warum sie mich überhaupt eingestellt hatten. Als einziger Grund bleiben nur die Vernehmungen des Genossen Dr. Schelle übrig, die er im Auftrage von Hauptmann Wagner gemacht hatte. Das war also der ganze Grund gewesen, weshalb sie mich mit Versprechungen in diese Firma gelockt hatten.

Es war eine reine Angelegenheit des SSD gewesen, und hatte nichts mit den angesprochenen technischen Dingen zu tun. Mit diesem Wissen ausgerüstet, war das Verhalten aller und die Geschehnisse zwanglos erklärbar - würde man dies negieren, wäre nichts erklärbar.

Die Knorr-Bremse GmbH hatte nie vorgehabt, auch nur irgend etwas von mir zu bauen. Sie haben mich vorsätzlich in eine Falle gelockt, damit die Genossen des SSD ihre Ziele verfolgen konnten.

Ich versuchte später, gegen die Knorr-Bremse GmbH gerichtlich vorzugehen (Aktenzeichen: 11 Ca. 3822/84). In der Vorverhandlung verlangte der Richter Kempff beim Arbeitsgericht München gerichtsverwertbare Beweise gegen die Knorr-Bremse GmbH. Das war nicht einfach. Wenn zudem der SSD dahinter steckte, wurde es so gut wie aussichtslos, dass bei den Gerichten die Wahrheit Gewicht bekam. (Dies ist bis heute leider so geblieben.)

Ich hatte wohl nicht das Geschick (und auch nicht die Beweismittel, die ich heute habe), den Richter mit meinem Vortrag zu beeindrucken. Sein Kommentar am Ende: "Ihre Klage is ä Schmarren". (Er sprach perfekt bayerisch.) Diese Worte hatten Gewicht, denn sie beendeten die ganze Angelegenheit. Der Sozialismus hatte doch gesiegt - wenigstens in meinem Fall.

Ich hatte ja auch niemanden bei der Knorr-Bremse München, der für mich aussagen würde. Es war eine einzige verschworene Gemeinschaft. Das Gericht wußte, dass ich den Ersten Kriminalhauptkommissar Mühlbauer vom BLKA München als Zeugen vorladen wollte. (So etwas tolerierte in Bayern niemand; da brauchte der SSD nicht einmal einzugreifen.)

Der Erste Kriminalhauptkommissar Mühlbauer (klingt der nicht gut, der Titel?) sollte dem Gericht den Kündigungsgrund nennen, den er bei der Firma ermittelt hatte, und der mir verschwiegen worden war.

Er tauchte aber später in Akten des BLKA auf. Ich las und staunte:

"...Frau Milazzo betonte nochmals, dass man W. nicht über den Weg traute, da man ihm Kontakte zum Osten zutraute. Diese sicherheitsmäßigen Bedenken seien mit ein Hauptgrund für die Entlassung gewesen..."

(Mit "Kontakten zum Osten" meinte sie sicherlich nicht meine Familie in Schulzendorf.)

Hauptmann Wagner hatte also seine Drohung wahr gemacht und Genossin Milazzo/Schelle hatte sie ausgesprochen.

Hier stand explizit auch der Grund, warum ich nie wieder eine Arbeitsstelle finden konnte - der Grund, der mein Leben zerstörte.

Der Kündigungsgrund, der mir offiziell verschwiegen worden war, steht heute auf Seite 52 in den Akten des BLKA (Anhang 45 ).

Dies sagte die Personalcheffin Frau Milazzo/Schelle der Knorr-Bremse GmbH - die gleiche Frau, die mich in diesen Betrieb gelockt hatte. Sie war es gewesen, die mir damals geschrieben hatte, dass sie mich aufgrund meiner Erfindungen einstellen wolle. Jetzt spricht sie von meinen "Bewerbungsunterlagen", die sie nachreichen wollte. Wohlgemerkt, ich hatte mich nie bei dieser Firma um eine Arbeitsstelle beworben. Ich hatte immer betont, dass ich nur zur Entwicklung meiner Erfindungen dort arbeiten würde.

Die Genossin Kaderleiterin Milazzo geb. Schelle, die im Westen als Personalleiterin arbeitete, bezichtigte mich nun, ein Agent des SSD zu sein, weshalb ich ja auch entlassen worden war. Das hieße, dass ich einer der ihren wäre, oder hat sie das vielleicht ganz anders gemeint? Sie war ja ängstlich und hatte wirklich "sicherheitsmäßige Bedenken", denn ich war eine latente Gefahr für das unvorstellbar große Agentennest in der Knorr-Bremse GmbH. So gesehen ist ihre Aussage völlig richtig und ehrlich gemeint. Auch vor meinen Verbindungen in den Osten hatte sie ehrliche Angst, denn meinem Vater, der über alles Bescheid wußte, traute sie nicht. Er könnte jederzeit seinen Sohn darüber aufklären, was hier gespielt wurde. Niemals kam es heraus, dass praktisch die gesamte Leitung der Knorr-Bremse GmbH aus SSD-Leuten bestand, dass der Betrieb praktisch dem SSD gehörte. Das kann auch nie herauskommen, weil dies für die meisten einfach unvorstellbar ist. Was hatte Lenin uns gelehrt? Die Lüge muß nur groß genug sein, um geglaubt zu werden. (Sie hatte offenbar auch Marxismus-Leninismus studiert.)

Allen wurde erzählt - natürlich hinter der vorgehaltenen Hand und streng vertraulich, dass ich ein Spion aus dem Osten sei. Dies waren die magischen Worte, mit denen man jemanden schwerer treffen konnte, als mit einer Pistolenkugel - was für das Gericht allerdings nur "Schmarren" war.

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