Der SSD greift ein

In einer streng geheimen Sitzung in Potsdam fällten die hohen Genossen des SSD eine Entscheidung über ihren "Einstein", wie sie den Erfinder liebevoll nannten. Der weitsichtige Hauptmann Wagner erkannte, dass der Erfinder in Westberlin nicht mehr lange aufzuhalten sei. Der hohe Verschleiß an Agenten hätte ihn nicht gestört, davon hatte er genug; den Erfinder schien aber alles nicht zu stören. Stur wie ein Panzer ging er auf sein Ziel drauflos. Wenn der SSD es schaffte, dass er bei einer Stelle rausflog, ging er sofort wieder woanders rein. Wenn es gelang, ihm einen angehenden Lizenzvertrag zu zerstören, fand er sofort einen anderen Lizenznehmer. Wenn es gelang, ihm eine Erfindung kaputt zu machen, erfand er die Nächste. Er fand Gehör bei Professoren, die seine Erfindungen nicht nur in ihre Lehrpläne mit aufnahmen, sie halfen ihm auch, eine Produktion aufzubauen. Es war ein einziger Alptraum für Hauptmann Wagner. Die Berliner Behörden spielten bei einem Kesseltreiben gegen den Erfinder auch nicht mit. Die alten Nazis beim SSD wußten aber aus Erfahrung, wo dies möglich wäre - dort, wo schon einmal alles begonnen hatte. Deshalb mußte der Erfinder unbedingt nach München gelockt werden. Am Anfang einer solchen operativen Maßnahme bietet man dem Opfer immer genau das, was er am meisten sucht; in diesem Fall ein Betrieb, der ihn als Erfinder einstellte und ihn seine Erfindungen entwickeln ließ und sie auf den Markt brachte. Der Erfinder sollte in einen Betrieb, in dem der SSD zuhause war, und in ein Haus, das keinerlei Lücken in der Überwachung des Erfinders aufkommen ließ, gelockt werden; kurz gesagt, in eine Falle, aus der er nicht mehr entrinnen konnte.

Zum Glück gab es einen SSD-eigenen Betrieb in der BRD, den der SSD zusammen mit seinen Kadern gerade noch rechtzeitig von Ost-Berlin (Berliner Bremsen AG) nach München verlagert hatte, die Knorr-Bremse GmbH (Süddeutsche Bremsen AG).

Der Erfinder sollte durch die Einstellung bei der Knorr-Bremse GmbH seine letzten Geheimnisse preisgeben. Danach sollte eine andere Gruppe des SSD den Erfinder übernehmen.

Im Klartext hieß das kurz: her mit allen Erfindungen - dann ab ins Gefängnis.

Die Operation begann damit, dass dem Erfinder ein Köder von der Knorr-Bremse GmbH in München unter die Nase gehalten wurde. Gleichzeitig wurden alle seine anderen Kontakte zerschlagen.

Damit er mit seiner eigenen Erfindung in diese Falle gelockt werden konnte, hatte Dr. Vogel ihm sein Funktionsmuster seiner Drehkolbenmaschine extra in den Westen nachgetragen.

Der Erfinder hatte am 7. Mai 1979 einen Brief bekommen, der ihm die Erfüllung seiner Wünsche versprach, trotzdem wollte er den Köder nicht schlucken. Es mußte noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Genosse Wolfgang Grams, warb dazu Gabi Ulig an, die sich aber als ungeeignet erwies - sie war zu ehrlich. Wir mußten Gudrun Adams aus Andernach heranschaffen, die skrupellos genug war, den Erfinder in die Falle zu treiben. Genossin Adams schaffte es in zwei Monaten, dass der Erfinder den angebotenen Arbeitsvertrag unterschrieb. Damit stand der Demontage des Erfinders samt seiner Erfindungen nun nichts mehr im Wege...

Im Jahre 1979 wollte ich es schaffen, eine Erfindung an den Mann zu bringen und eine Arbeit zu finden - am besten beides in einem. Die Ablehnung meiner ersten Drehkolbenmaschine deutete ich so, dass sie noch nicht gut genug sei. (Ich konnte mir damals noch nicht vorstellen, dass sich Betriebe im Westen vom SSD Vorschriften machen ließen). So arbeitete ich an neuen Erfindungen und machte neue Patentanmeldungen.

Man wollte eine ganz einfache Konstruktion einer Pumpe von mir. So baute ich ein erstes Modell einer axialen Impellerpumpe. (Dass ich das mit primitiven Mitteln in meiner Wohnung machte, war nicht meine freie Wahl; ich fand nur keinen entsprechenden Arbeitsplatz bzw. wurde jedesmal nach anfänglichem Interesse nach 6-8 Wochen doch abgelehnt. Ich hatte zu dieser Zeit noch keine Ahnung, wie es jedesmal dazu kam.)

Die ganze Pumpe besitzt nur ein einziges bewegliches Teil, einen Rotor mit elastischen Flügeln. Ein flaches Blech oder Plastik ist ausgestanzt wie es in dem Bild zu sehen ist. Die elastischen Flügel sind vorgespannt und gleiten in einem Ringraum, der wiederum etwas schräg zur Drehachse des Rotors liegt. Die axial federnden Flügel tauchen in einen Ringraum mit veränderlicher Tiefe ein und dichten ihn ab, wodurch sie Volumen verdrängen. Der Querschnitt des Ringraumes kann wieder beliebig sein. Geeignet wäre ein rechteckiger oder ein runder Querschnitt für eine höhere Dichtheit. Je mehr Flügel es gibt, um so kürzer kann die Ringnut bzw. der Arbeitsraum gehalten werden. (Mindestens ein Flügel muß sich im Arbeitsraum als bewegliche Trennstelle zwischen Ein- und Auslaß befinden.) Die Ringnut muß nicht 360° herum gehen, die Flügel federn dann zurück in die Ebene der Scheibe bzw. des Scheibenrotors. Die bekannte Impellerpumpe ist eine radiale Bauart, meine hier ist eine axiale Bauart. Die elastische Verbiegung der Teile ist hier nur wenige Grad , also dem Betrage nach geringer. Die Reibung im Leerlauf ist geringer. Totes Volumen ist theoretisch gar nicht vorhanden. So könnte diese Pumpe ständig trocken laufen und hätte trotzdem ein gutes Ansaugvermögen. Diese Eigenschaften waren gesucht. Diese Pumpe ist aber nicht für hohe Drücke geeignet. Dabei würde zu viel Reibung erzeugt. Als billige Transferpumpe wäre dieses Prinzip gut. Eine künftige Anwendung könnte eine Mikropumpe für kleinste Fördermengen sein. (Der Durchmesser der Pumpe könnte kleiner als ein Millimeter gemacht werden.) Die ganze Pumpe könnte in eine Platine einer elektronischen Schaltung integriert werden. Der Scheibenrotor wird dabei direkt durch rotierende Felder elektrisch angetrieben.

Es ist fast so einfach wie die bereits bekannten kleinsten Kreiselpumpen. Es ist aber ein echtes Verdrängerprinzip mit weit besseren Fördereigenschaften als ein Kreiselpumpenprinzip, das hohe Fördermengen liebt. Kleine batteriebetriebene Dosiereinrichtungen für periodische Injektionen von kleinsten Mengen könnten direkt am Körper getragen, oder sogar implantiert werden.

Die axiale Impellerpumpe ist besser als die radiale Variante - so viel steht fest.

Das bekannte Drehschieberprinzip wollte ich auch verbessern. (Dort drehen sich radiale lose Schieber, die in Schlitzen eines exzentrischen Rotors stecken, in einem zylindrischen Gehäuse.) Klebrige Stoffe kann dieses Prinzip nicht pumpen, weil die Schieber in den Schlitzen dann fest hängen würden. Zwangsgesteuerte Schieber wären die Lösung. Meine axiales Drehschieberprinzip mit einem auf einem Zylinderhuf gleitenden zwangsgesteuerten Schieber ist eine Lösung. Weil es aber offenbar keiner wollte, verbesserte ich nur das bekannte radiale Drehschieberprinzip. So erfand ich ein radiales Drehschieberprinzip mit gleich zwei Arbeitsräumen und zwangsgesteuerten


Mein radiales Drehschieberprinzip mit zwei sichelförmigen Arbeitsräumen und zwangsgesteuerten Schiebern.

Schiebern, das in den Bildern zu sehen ist. Hie gleiten vier radiale Schieber gleichzeitig an einem äußeren und an einem inneren Ring. Wegen der Exzentrizität des Rotors für die Schieber zu den Ringen geht das exakt im Allgemeinen überhaupt nicht. Nur in diesem Sonderfall geht es exakt, weil die Schieber an ihren beiden Enden eine ganz bestimmte Balligkeit (Radius) haben. Man kann sie sich aus Zylindern herausgeschnitten vorstellen, oder sie durch Zylinder ersetzt denken. Dann füllen sie den konstanten Abstand der beiden zentrischen Ringe mit einem konstanten Durchmesser eines Zylinders aus, unabhängig von einer gewissen Schrägstellung, die durch die Exzentrizität herein kommt. Dieses Prinzip könnte also auch sehr langsam laufen und klebrige Massen fördern. Allerdings verwendet man diese Idee schon bei üblichen Drehschieberpumpen, indem man einen Stützring hinter den Schiebern anbringt. Bei Ölpumpen hilft man sich, indem man die Schieber innen mit Druck beaufschlagt. Mein Prinzip wird nirgends verwendet. Es steht in gewisser Weise zwischen dem bekannten Drehschieberprinzip und der Rollenpumpe, wo die Schieber tatsächlich zylindrische Rollen sind. Man erkennt hier auch, wie ein Prinzip in ein andere übergehen kann. Es scheint sogar eine gewisse Systematik verborgen zu sein - ähnlich dem Periodensystem der Elemente, nur weit komplexer. Während man beim Periodensystem nur eine einzige Variable hat, nämlich die Zahl der Protonen im Kern, hat man hier gleichzeitig mehrere veränderliche Parameter, die dann kein lineares, sondern ein mehrdimensionales Gebilde erzeugen, das schwer zu überschauen ist. (Deshalb will ich den Leser damit auch nicht quälen.)

Auch machte ich einen ersten schüchternen Versuch, das alte klassische Hubkolbenprinzip zu verbessern. Das Problem ist, eine Hin- und Herbewegung eines Kolbens möglichst einfach in eine Drehbewegung umzuwandeln, was mit einem Pleul und einer Kurbelwelle schon mal geht. Eine Drehbewegung besteht aus zwei aufeinander senkrecht stehenden Hin- und Herbewegungen oder Hubbewegung.

Eine Komponente davon will man benutzen, die andere vernichten, was mit einem mehr oder weniger komplizierten Gestänge geschieht. Hier ist ein Beispiel, wo man das Gesagte gut erkennt. Die zweite Komponente der ungewünschten Hubbewegung wird hier durch einen verlängerten Kolbenbolzen vernichtet. (Der Kolben rutscht auf dem Kolbenbolzen hin und her.)

Die Kurbelwelle verkümmert hier zu einer einfachen geraden Welle, die direkt durch den Kolben geht und durch einen Kolbenbolzen mit ihm verbunden ist. Der Kolben steckt in einem größeren zylindrischen Rotor. Alles dreht sich zusammen, wobei die Welle etwas exzentrisch gehalten wird, damit ein Hub entsteht. Der Kolben ist symmetrisch und bildet an seinen beiden Stirnseiten einen Arbeitsraum. Diese Prinzip baut sehr kompakt. Der verkürzte Hub wird durch einen größeren Durchmesser des Kolben wieder gut gemacht, was sowieso besser ist, weil der Durchmesser quadratisch ins Volumen eingeht und die Hublänge nur linear. Kritisch ist hier die Abdichtung am Außenumfang, auch gibt es immer noch ein Kolbenbolzenlager, das einem Verschleiß unterliegt, aber für ölgeschmierte Anwendungen wäre dieses Prinzip verwendungsfähig.

 

 

Nachdem ich die TU in Berlin abgegrast hatte, fuhr ich nach München, wo ich an der TU mit einem Professor R. über meine Erfindungen reden wollte, speziell über meinen Drehkolbenmotor. Ich hatte von ihm einen Gesprächstermin bekommen und ich hoffte schon, dass ich ihn dazu begeistern könne, sich näher mit einer meiner Ideen zu beschäftigen.

Mein Empfang in seinem Institut war ungewöhnlich eisig - ja fast feindlich. Meine Veröffentlichung in der Zeitschrift "Maschinenbautechnik", die ich ihm geschickt hatte, warf er symbolisch in den Papierkorb. Er hatte sie nicht einmal gelesen. Das Gespräch war für ihn schon beendet, bevor es noch begonnen hatte. Er fragte mich nur wie alt ich wäre, winkte ab und begann sich mit seinem Schreibkram zu beschäftigen. Ich brachte noch eingeschüchtert hervor, dass ich hier noch etwas ganz Neues hätte, was noch niemand gesehen hätte, und begann auszupacken. Ich war für ihn aber schon nicht mehr da. Er sah sich nichts an. Nach wenigen Minuten war ich wieder draußen. Ich versuchte noch mit irgendwelchen Assistenten zu reden, diese reagierten aber auch so, als ob ich eine Seuche in ihr Heiligtum reinschleppen wolle. Zu dem Professor, der meine Ideen schon interessant gefunden hatte, als ich noch in der DDR war, konnte ich leider nicht gehen - er war gestorben.

Was ging hier vor? Grundlos reagieren Menschen nicht so und ich hatte ihnen keinen Grund gegeben, derart abweisend zu sein. Professor R. hatte mich eingeladen gehabt und wußte, dass ich extra aus Berlin angereist war. Was hatte ihn so umgestimmt? Ich hatte bei diesem Besuch in München bei meinem ehemaligen Zellenkameraden Thomas Scheutzlich übernachtet gehabt, und er wußte wen ich besuchte. Lag hier vielleicht die Lösung? Ich konnte es mir damals nicht vorstellen. Heute kann Thomas Scheutzlich nicht mehr befragt werden, weil er inzwischen als Terrorist Wolfgang Grams erschossen worden ist.

Meine Aufzeichnungen über viele Jahre zeigen eindeutig, das alle meine Treffen und Bemühungen erfolglos blieben, wenn meine alten "Kumpel" aus meiner Zelle im Zuchthaus Cottbus mit im Spiele waren. (Ihre Genossen beim BLKA in München könnten dieses Phänomen erklären - diese reden aber nicht.)

Frustriert fuhr ich nach Berlin zurück. An einer Tankstelle wollte ein Mädchen von mir mitgenommen werden. Ohne mir etwas dabei zu denken, nahm ich sie mit nach Berlin. Zum Dank lud sie mich zu einer Party mit ihren Freunden ein. Nichts ahnend ging ich hin. Dann mußte ich feststellen, dass ich in der Mitte einer Roten Armee Fraktion gelandet war. War das ein Zufall gewesen? Egal - angeekelt verließ ich die "Party" und ließ mich dort nie wieder blicken. Außerdem habe ich seitdem nie wieder jemanden von der Straße weg mit meinem Wagen mitgenommen.

In Berlin gab es auch keine guten Neuigkeiten. Niemand wollte mich einstellen. Die Manager der Maschinenfabrik Spandau konnten sich auch nicht entscheiden, ob sie von mir nun eine Pumpe haben wollten oder nicht. Somit wurde auch nichts mit dem Forschungsauftrag für die TU - Berlin.

 

Wenn die Maschinenfabrik Spandau hinsichtlich des versprochenen Lizenzvertrages und des Forschungsauftrages nicht Wort hält, gehe ich eben selber zur TU-Berlin, sagte ich mir. Vielleicht stellen sie mich sogar ein. So fand ich an der TU-Berlin dann doch noch jemand, der mir zuhörte. Herr Professor Hölz hörte sich meine Ideen aufmerksam an. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass jemand mir richtig zuhörte. So erklärte ich ihm eine Sache nach der anderen. Ich kam langsam in Fahrt und plapperte nun nach einer gewissen Einlaufphase los wie ein rauschender Bach, der zum überschäumen neigte. Nach einigen Stunden brach mein Zuhörer die Sache ab. Es war einfach zu viel für ihn. Wir machten in den nächsten Tagen aber weiter. Mein Drehflügelprinzip griff er sofort auf, baute es auch in seinen Lehrplan mit ein und half mir, es zu vermarkten. Er hatte einen Bruder in Wangen, der eine Pumpenfirma hatte. Wenige Tage später, am 23. 3. 1979 , machten wir schon eine Vereinbarung, etwas gemeinsam auf diesem Gebiet zu unternehmen. (Obwohl mich meine alten Haftkameraden immer noch besuchten, erzählte ich dieses Mal nichts davon.) Professor H. Hölz und ich machten zusammen die Konstruktion eines großen Verdichters.

Herr Otto Hölz in Wangen baute diesen Verdichter dann aber doch nicht. Er hatte dafür auch kein Vertriebssystem. Er wollte etwas anderes: eine Pumpe, mit der er leicht einen Kuhstall ausmisten konnte, die außer Stroh, und was sonst noch so alles herumlag einsaugen und zerhäckseln konnte. Wenn selbst eine Kuhkette sie nicht stoppen könne, wäre das die ideale Pumpe für ihn. Dies waren zwar hoch gesteckte Ziele; ich machte mich aber sofort an die Arbeit, denn die besten Chancen, dass ein Unternehmer meine Erfindung übernimmt, hatte ich sicherlich, wenn ich ihm genau das erfand, was er haben wollte. Das Ergebnis war das "Starrflügelverdrängerprinzip", wofür ich am 2.4.1979 ein Patent (DE 29 13 608 C2) anmeldete (Anhang 56-58) .

Ich konnte ihn aber nicht dafür begeistern, obwohl sein Bruder an der TU-Berlin die Sache guthieß. Meine Idee war bisher auch nur auf dem Papier. Obwohl es auf den ersten Blick einfach aussieht, ist es doch nur schwer völlig zu durchschauen, weil man dazu in schrägen Koordinatentransformationen sattelfest sein muß, was in einem Ingenieurstudium gar nicht enthalten ist. Ich mußte später

Die Patentzeichnungen meines Starrflügelverdrängerprinzips.

auch dem Prüfer auf dem Deutschen Patentamt erst ein Modell zeigen, bis er es endlich verstanden hatte und mir das Patent genehmigte. (Vielleicht hatte dies aber auch andere Gründe, denn ich wußte zu diesem Zeitpunkt noch nichts von den Dingen, die im Hintergrund liefen.)

Es ist direkt aus dem ersten Drehschieberprinzip entstanden. Mein Ziel war, den Schieber starr zu machen und starr mit der Antriebswelle zu verbinden, damit die Kraft auf die Flüssigkeit dann ausschließlich über starre Teile übertragen wird und die sonst dadurch entstehende Reibung eliminiert ist.

Also baute ich in Gedanken mein altes Drehschieberprinzip um, damit diese Bedingungen erfüllt werden konnten. (So etwas ist insofern aufregend, weil dabei eine völlig neue Maschine herauskommen kann.) Den vorher schwenkbaren Schieber brachte ich axial starr an einer Antriebswelle an. Den kritischen Innenraum machte ich frei, indem ich den Schieber in der Mitte wegschnitt. (In Gedanken geht das im Bruchteil einer Sekunde und kostet kein Geld.) Jetzt mußte ich den Arbeitsraum den nun zwei starren Flügeln anpassen - eine Ringnut entsteht. Das alte Gehäuseteil/Rotorteil über dem ehemaligen Arbeitsraum verkümmert zu einer mitrotierenden Scheibe. Der flächenhafte Schlitz verkümmert dabei zu einem nur noch linienhaften Schlitz (oder V-förmig ausgeschnitten) in dieser dünnen Scheibe, in dem die Flügel jetzt schwenken können. Aus dem beweglichen Schieber sind zwei starre Flügel geworden, die axial in einen Ringraum eintauchen und jetzt dicht, aber berührungslos an den Wandungen entlang laufen. Dieser Ringraum ist etwas schräg abgeschnitten und durch die Scheibe abgedichtet. Eine Verdrängung von Volumen entsteht dadurch, dass sich der Querschnitt des Ringraumes in Umfangsrichtung ändert. Totes Volumen verschwindet, wenn an einer Umfangsstelle die Scheibe den Boden des Ringraums berührt, so dass sein Querschnitt hier ganz verschwindet. (Auch kann die Ringnut an einer Umfangsstelle ganz verschwinden.)

So einfach wurde meine nächste Erfindung geboren, denn es war nichts weiter als Gedankenspielerei. (Dies mag u.U. nicht so leicht nachvollziehbar sein, weil ich hier die dreidimensionalen bewegten Bilder im Gehirn in eine eindimensionale Vielfalt - sprich Worte - pressen mußte, wobei natürlich mehr als 99% der Informationen einfach verlorengehen. Es liegen einige Zehnerpotenzen an Informationsinhalt dazwischen, was Ihnen ein Computer heute sogar zeigen kann. Anschaulich gesprochen zwingt uns die Sprache den Informationsgehalt von einem Gedanken (Video) mit etwa 1GB = 1000 000 KB in einen Satz mit höchstens einigen KB zu komprimieren Das ist ja der Jammer der Menschheit: Worte sind grundsätzlich ein ungeeignetes Mittel zur Übertragung von Gedanken - aber wir haben immer noch nichts Besseres.)

(Der Zweitaktmotor ist eine andere Variante eines starr gewordenen Schiebers. Zwischenstadien zwischen diesen Varianten gibt es auch, die alle miteinander verknüpft sind. Die Natur bietet also immer gleich ein ganzes Netzwerk von verschiedenen Varianten.)

Wenn das Grundprinzip steht, kann man es noch für bestimmte Aufgaben variieren: die Anzahl der Flügel, die Form des Querschnitts der Ringnut, die Form der Flügel, Lagerung des Scheibenrotors, Anzahl der Wellen (2,1 oder 0) etc.

Für Herrn Hölz sollte die Pumpe robust gegen Fremdkörper gemacht werden: Die nun starren Flügel können so stabil gemacht werden, dass sie nicht abbrechen, wenn Fremdkörper in den Einlaß gelangen. Mit entsprechenden Schneidkanten wäre diese Pumpe gleichzeitig eine Häckselmaschine.

Um die Pulsationen nicht zu groß werden zu lassen, wurden es dann 4 starre Flügel. Dies brachte allerdings ein neues Problem mit sich, das gesondert gelöst werden mußte, was mit der schrägen Projektion eines Winkels zu tun hat. Dieses Problem wurde von Herrn Hölz gar nicht erkannt, weshalb er meine Lösung dieses Problems später einfach wegließ und Probleme bekam...

Dass ich jetzt eine neue Erfindung hatte, war in vielfacher Hinsicht von Vorteil. Ich Konnte damit eine neue Patentanmeldung machen und erstmals ein richtiges Patent erhalten. Ich hatte zwar Patentanmeldungen für mein erstes Drehschieberprinzip und anderes in München schon von der ehemaligen "DDR" aus unter großen Schwierigkeiten durch den SSD eingereicht gehabt; durch meinen langen Gefängnisaufenthalt waren sie mir aber wieder verfallen; einfach dadurch, dass ich die gegebenen Fristen nicht einhalten konnte. Briefe ans Patentamt waren selbstverständlich nicht erlaubt, schon gar nicht aus einem sozialistischen Zuchthaus heraus. Anders als in einem normalen Gefängnis wird man bei den Kommunisten praktisch aller Rechte beraubt. So hatte ich ja meine Familie und meinen Besitz verloren - warum sollte ich also nicht auch noch meine Patentrechte verlieren, sagten sich die Kommunisten.

Aber dies war nun alles Vergangenheit, sagte ich mir - und irrte.

Jetzt konnte niemand mehr verhindern, dass ich einen Brief ans Deutsche Patentamt schrieb. Dieses Amt schützt die Rechte der Erfinder und wird sich niemals zu einem Instrument einer kommunistischen Verschwörung machen lassen - irrte ich mich. So nahm das Unglück seinen Lauf.

Leider gab ich meine Erfindungen auch einer Vermarktungsgesellschaft (TVA-Berlin, Technologie Vermittlungsagentur ), die nichts bewegte - mit einer einzigen Ausnahme: Für den 9. 4. 1979 10°° Uhr vereinbarten sie ein Treffen in der Firma Carl Hasse & Wrede in Berlin. Ich ging hin, sie wollten aber überraschenderweise mein Modell weder testen noch irgendetwas sehen. Ich sollte es gar nicht erst auspacken. Der Geschäftdführer, Herr Udo Kurtzmann, sagte mir nur, ich müsse unbedingt zur Firma Knorr-Bremse nach München gehen. Dort wäre man sehr an mir interessiert und das wäre genau der richtige Platz für mich. Sie gaben mir aber keinen Namen oder sonst einen Anhaltspunkt. Ich zweifelte, ob es bei dieser Firma tatsächlich jemanden gab, der sich für meine Erfindung interessierte, schließlich stellten sie Bremsen her; das hatte ich an den Zügen schon als Kind gelesen gehabt. Meine Fragen blieben alle unbeantwortet. Die Herren hielten sich sehr bedeckt. Ich wußte nicht, was hier gespielt wurde.

(In der Tat waren diese - und andere -Herren gerade dabei, meine Karriere als Erfinder und letztlich mein Leben zu zerstören - ich wußte es nur noch nicht.)

Ich hatte im Moment genügend Betriebe, die ich selber gefunden hatte und mit denen ich schon zusammenarbeitete. Meine Drehkolbenmaschine ließ sich als Pumpe, Verdichter und Druckluftmotor und eventuell noch für andere Dinge verwenden. Insofern konnte ich sogar mehrere Lizenzen vergeben; ich bot aber einen Anwendungsfall jeweils nur immer einer Firma an. Für eine Pumpe hatte ich die Maschinenfabrik in Berlin-Spandau (Spandau Pumpen), für einen Verdichter die Hölz GmbH in Wangen und für den Druckluftmotor die Firma Deprag in Amberg.

Andere folgten, einfach weil andere meine Erfindungen für verwertbar hielten. Die Sache sprach sich rum und es wurden automatisch immer mehr, die Interesse an meinen Erfindungen anmeldeten. Alle wußten auch immer sofort, was sie wollten - mit einer einzigen Ausnahme. Mir hatte bisher keiner gesagt, was die Knorr-Leute eigentlich wollten. Wenn ich das nächste Mal in München sein werde, kann ich ja mal die Knorr-Bremse GmbH nebenbei auch besuchen und nachfragen, nahm ich mir vor. Dieser Besuch stand aber nicht ganz oben auf meiner Liste. Ich befürchtete außerdem, dass ich dann nach München ziehen müsste, denn ich wollte ja in Berlin bleiben. Ab und zu gelang es mir ja (wenn die Vopos an der Grenze einen Fehler machten), einen Passierschein in den Osten zu ergattern, um meine Familie zu besuchen.

Ich war dabei, die Sache zu vergessen, da bekam ich eine offizielle Einladung von der Knorr-Bremse GmbH (Anhang 12) geschickt, worin sie mich baten, meine Erfindung bei ihnen vorzuführen. (Erst rief mich ein Herr von Mylius an, dann bekam ich eine schriftliche Einladung.) Ende April 1979 kam es dann zu dieser Vorführung. Seltsamerweise durfte ich gar nicht an meine Drehkolbenmaschine heran, die sie schon als Kompressor aufgebaut hatten - allerdings nicht richtig, wie ich schon aus der Ferne sehen konnte.

Die Techniker waren zusammengerufen worden, um sich die Sache anzuschauen. Einer, der offenbar etwas zu sagen hatte, ließ mein Modell gleich wieder abschalten und verließ demonstrativ die Szene. Die anderen folgten ihm auf dem Fuße wie einem Leithammel. Keiner fragte mich auch nur irgendetwas, oder wollte auch nur irgendetwas davon sehen, was ich ausgebreitet hatte, denn damit hätten sie Interesse bekundet. Dieses Gefühl wollten sie aber offenbar gar nicht erst aufkommen lassen. Mein Modell war so schnell wieder verschwunden, dass es mir nicht einmal gelang, ein Bild zu schießen. Ein Meßprotokoll gibt es auch nicht, weil nichts gemessen wurde. Warum hatten sie mich eingeladen? Das hier hätte man auch am Telefon machen können: kein Interesse - erledigt.

Ich packte meine Sachen wieder ein, auf die sowieso keiner einen Blick geworfen hatte und verließ diesen ungastlichen Ort. Da zupfte mich jemand am Ärmel und hielt mich zurück. Er brabbelte mir irgendetwas ins Ohr. Ich hörte aber schon nicht mehr richtig zu, denn die Sache war für mich erledigt. Außerdem war ich gekränkt und wütend, und wollte so schnell wie möglich an die frische Luft. Man kann einen Erfinder nicht mehr kränken, als ihn großartig einzuladen, nur um ihn achtkantig wieder rauszuwerfen und ohne sich die Sache auch nur angeschaut zu haben. Über technische Bedenken hätte man reden können; so weit ist es aber gar nicht gekommen. Hier waren offensichtlich ganz andere Dinge im Spiel. Wohlgemerkt, ich hatte mich nie an die Knorr-Bremse GmbH gewandt gehabt, wäre auch nie auf die Idee dazu gekommen. Wie der Name schon sagt machen sie Bremsen für die Reichsbahn. Ich hatte den Namen oft gelesen, wenn ich am Bahnsteig stand und mir die Wagen ansah. Ich hatte mir den Namen schon als Kind gemerkt, denn die Bremsen machten immer "knorrrr", bevor der Zug zum Stehen kam. Jetzt viel mir eines auf; die DDR hatte alles umbenannt - sogar das Wort Deutschland gestrichen, aber das Wort "Reichsbahn" war geblieben. (Dies ist bis heute ein Geheimnis des SSD)

 

Video

 

In München übernachtete ich wieder bei Wolfgang Grams und ahnte nicht, dass er etwas damit zu tun hatte. (Er hatte unter anderem sicherzustellen, dass ich keinen anderen Betrieb in München besuchte.) Ich hatte keine Ahnung, dass die Knorr-Bremse GmbH ein SSD-eigener Betrieb war und glaubte, dass das Ganze ein Mißverständnis zwischen der Leitung und den leitenden Ingenieuren gewesen wäre. Als ich wieder nach Berlin fuhr dachte ich an meine Zukunft, in der dieser Betrieb nicht enthalten war. Ich hatte ja genug zu tun. Ich arbeitete mit Professor Hölz zusammen an der Entwicklung des Verdichters für seinen Bruder. Ich bekam kein Gehalt dafür, es waren auch gar keine Planstellen frei, dass er mich einstellen konnte, aber es würde sich später einmal auszahlen - so hoffte ich jedenfalls. Ich sah die Zukunft rosig. Immer mehr Firmen interessierten sich für meine Erfindungen. Drei davon begannen auch tatsächlich mit einer Entwicklung.

Es sah ganz so aus, dass mehrere Firmen eine Lizenz haben wollten; die Firma Hölz in Wangen für einen Verdichter, die Firma Deprag Schulz GmbH in Amberg für einen Druckluftmotor und die Firma ABS-Pumpen in Lohmar für eine Pumpe. (Die Maschinenfabrik Spandau in Berlin konnte sich nicht entscheiden, weshalb ich nun einer anderen Pumpenfirma eine Lizenz angeboten hatte.) Die Firma Deprag in Amberg war ebenfalls bereit, mit mir und der TU-Berlin ein gemeinsames Forschungsvorhaben aufzunehmen. Ich konnte offenbar Fachleute dazu bewegen, meine Erfindungen aufzunehmen. (Das soll nicht immer einfach sein, auch ohne den SSD.)

Die Firma Deprag begann einen Druckluftmotor nach meinem Drehflügelprinzip zu entwickeln. Ein erstes Versuchsmodell war bald fertig und zeigte schon die Überlegenheit dieses Prinzips über dem bekannten Drehschieberprinzip, obwohl beim Bau noch Fehler gemacht wurden. Der Motor konnte ölfrei über 20 000 U/min schnell drehen. Dies ist einmalig in der Technik und bedarf einer Erklärung: Am Zylindermantel läuft der Rotor berührungslos. Eine kritische Berührung gibt es zwischen der Schieberunterkante und einer ruhenden Ebene. (Der Schieber macht hier nicht die



Schwenkbewegung wie in der kinematischen Umkehrung, wenn sich also der Zylinderhuf unter dem Schieber hinweg dreht.) Die hohen Umfangsgeschwindigkeiten (80m/sec) sind nur möglich, weil die gesamte Auflagekraft für den sich drehenden Schieber nur wenige Gramm beträgt. (Außerdem wandert die Auflagekraft verschleißbedingt automatisch nach innen, also zu niederen Umfangsgeschwindigkeiten.)

(Die Fehler, die noch bei dem ersten Modell gemacht worden waren, hätte man beim nächsten Modell ausmerzen können, leider kam es dazu aber nicht mehr, denn der SSD spielte auch noch mit.)

Ich hatte alle Hände voll zu tun. Ich hatte verschiedene Konstruktionen zu machen und alles zu organisieren. Ich war dabei, in meiner neuen Heimat Fuß zu fassen. Es sah ganz danach aus, dass sich meine Wünsche erfüllten. Ich würde bald viel Geld haben. Dann wird es auch Wege geben, meine Familie aus den Klauen der Kommunisten zu befreien. Ich träumte schon von einer glücklichen Erfinder-Familie.

Im Moment mußte ich allerdings die Vopos an der Grenze austricksen, um meine Familie überhaupt mal sehen zu können. Ich erinnere mich, eines Tages bei meiner Einreise kam einem Grenzer irgend etwas verdächtig vor. Sie begannen, mein Auto zu untersuchen. Ich sollte die Motorhaube aufmachen. Ich konnte ihnen aber dabei nicht helfen, denn ich wußte im Moment nicht, wie das ging. Das nahmen sie mir ab. Ein Grenzer zeigte mir stolz, dass er die Motorhaube eines Mercedes öffnen konnte. (Sie brauchten das Gefühl der Überlegenheit, das wußte ich, sonst würden sie sich augenblicklich in blutrünstige Bestien verwandeln.) Sie schnüffelten vorne und hinten, oben und unten, drinnen und draußen - konnten aber nichts finden. Mit diesem Ergebnis waren sie nun aber überhaupt nicht zufrieden. Sie fanden nicht einmal eine verknüllte Westzeitschrift, die sie als Hetzmaterial konfiszieren konnten. Da stimmte etwas nicht! Jetzt kam ich an die Reihe. Sie führten mich in einen abgelegenen Raum, wo sie mich bis auf die Haut untersuchten. Damit konnten sie mich auch nicht mehr ärgern, nachdem ich in ihren Zuchthäusern genügend in diesen Dingen geschult worden war. Dann bekam ich aber doch noch einen Schreck, denn einer zog meine Visitenkarte aus meiner Tasche, wo natürlich mein Name stand. Die hatte ich ganz vergessen rauszulegen! Jetzt war es aus, jetzt hatten sie mich...

Statt meinen Namen zu lesen (das ist für viele unangenehm, weil sie nicht wissen, wie sie ihn aussprechen sollen) fragte die Offiziersstimme, "Physiker sind sie also?" Ich nickte ihm zustimmend zu. Das machte ich immer automatisch, wenn eine Stimme in Uniform zu mir was sagte. Das hatte ich mir in der DDR so angewöhnt, denn das war sehr ratsam gewesen, wenn man gerade direkt mit der Staatsmacht konfrontiert war; und ich wollte im Moment ja einreisen, um meine Familie zu sehen, was ich aber lieber für mich behielt.

Um das Gespräch nicht anzuheizen, sagte ich gar nichts, tat nur gelangweilt, obwohl ich gerade mit dem Feuer spielte. Ich sah Hauptmann Wagner schon wieder vor mir. Mit einem breiten bissigen Grinsen würde er mich empfangen und sagen:"Na da sind sie ja wieder. Ich habe doch gewußt, dass sie es im Westen nicht lange aushalten würden. Nun erzählen sie mal - dieses Mal auch etwas über ihre fliegende Untertasse." (Er wußte natürlich, dass mir meine Familie über alles ging und ich alles tun würde, um sie nicht zu verlieren; deshalb hatte er sie ja nicht mit ausreisen lassen.)

Mein Gegenüber - ein übereifriger Offizier der Grunztruppen starrte meine Visitenkarte lange an, dann mich, dann wieder meine Visitenkarte und so fort.

Aha, dachte ich, der ist wie Hauptmann Wagner, der hat es gemerkt, will sich aber noch nichts anmerken lassen. Der will es auskosten! Er will mich zappeln lassen, dann tief Luft holen um endlich loszubrüllen, dass die Grenzbalken wackeln: "Wie heißen Sie denn eigentlich? Was ist Ihr richtiger Name? Soll ich Sie mit "Willimczik" anreden, oder so, wie es auf der Einreisegenehmigung steht? Wie viele Namen haben sie denn nun eigentlich, und welches ist der richtige?"

Nichts von dem geschah. War er blind? Ich half ihm jedenfalls nicht aus der Klemme.

Weil ihm offenbar nichts mehr einfiel, mußte er mich ziehen lassen.

Er war ein gut ausgebildeter und sehr wachsamer Genosse - nur lesen konnte er nicht. (Da mein Name auf der schwarzen Liste stand, hatte ich auf den Einreiseantrag einfach einen anderen Namen geschrieben.) Mein Name ist natürlich etwas schwierig zu schreiben, wenn man ihn nur hört; und schwierig auszusprechen, wenn man ihn nur geschrieben sieht. Das hatte ich schon in der Schule ausgenutzt. Wenn ein neuer Lehrer kam, konnte ich die ersten Stunden selig durchschlafen. Ich wußte, dass er jeden von der Liste im Klassenbuch irgendwann aufrufen würde, nur nicht denjenigen mit dem unaussprechlichen Namen am Ende der alphabetischen Liste. Keiner will sich blamieren und geht dem Namen aus dem Wege - solange er kann. So war es auch an dem schönen Sonntagmorgen an der Berliner Mauer gewesen, was mir wieder einen unerlaubten Besuch meiner Familie bescherte.

Mit der Zeit wurde es für mich aber immer schwieriger, meine Familie im Osten zu besuchen.

Ich wußte damals nicht warum. Ich wußte auch nicht, dass der Grund nicht im Osten, sondern im Westen zu suchen war. Ich merkte auch nicht, dass der SSD dabei war, mir seine größte und gemeinste Falle in den Weg zu legen. Ich hätte eigentlich gewarnt sein müssen, der SSD zeigte aber seine hohe Kunst der Täuschung. Er hatte außerdem eine so große Macht in der BRD errungen, dass dies jenseits meines Vorstellungsvermögens lag und ich kein Mittel dagegen fand.

Es begann am 2.Juni 1979 in Berlin bei einem Fest des Rundfunks für den Sender AFN (American Force Network) inmitten einer großen Menschenmenge. Der Zufall - sprich SSD - wollte es, dass ich einen alten Mitgefangenen aus Cottbus traf. (Er war nicht direkt aus meiner Zelle - aber vom gleichen Flur (EB - Erziehungsbereich) Ich glaube es war ein gewisser Förster.)

Er sprach mich an, erzählte was und lud mich am Ende in die Disco Riverboot ein. Ich ging am Abend hin. Er kam aber nicht. Es war auch noch ziemlich früh und die Disco war noch so gut wie leer. Nur ein einziger Tisch war mit einer vielköpfigen Gesellschaft besetzt. An der Bar saß ein einzelnes - offensichtlich einsames Mädchen. Ich setzte mich neben sie; ich hatte ja auch gar keine andere Wahl, wenn ich Gesellschaft haben wollte. Sie war nicht nur nicht abgeneigt etwas zu flirten, sie schien sogar auf ihren Retter gewartet zu haben. Sie lebte in Scheidung, ihr Mann schlug sie und sie wüßte im Moment nicht weiter.-. jeder kennt eigentlich diese Story. Was sollte ich machen? Ich ließ den Dingen ihren Lauf. So tanzten wir den ganzen Abend zusammen. Sie ließ mich merken, dass sie ihr ganzes Leben lang eigentlich nur auf mich gewartet hatte.

Wie sich am Ende des Abends herausstellte, gehörte die Gesellschaft an dem Tisch zu ihr. Jemand hatte uns den ganzen Abend im Auge behalten. Warum hatte sie dann alleine an der Bar gesessen? Ach was - so etwas fragt man nicht, besonders wenn man gerade guter Laune ist. Um Mitternacht saß die ganze Gesellschaft dann in meinem Mercedes. Aber statt ins Bett gingen wir etwas essen am Kuhdamm. Dann fuhren wir an den Wannsee und blieben dort, bis der Morgen graute. Es war offensichtlich eine unternehmungslustige Truppe, in die ich da hineingeraten war. Dass mich an selbigen Abend jemand hat sitzen lassen, hatte ich in dem Trubel schon vergessen. (Das ist das Schlimme an uns Männern, dass wir unter bestimmten Umständen alle Vorsichtsmaßnahmen vergessen.)

Dieser harmlose Badeausflug war schon operative Arbeit des SSD.

 

Gudrun nahm ich mit ihrem Sohn sofort in meiner Wohnung auf. Sie mußte von ihrem Mann weglaufen und wollte bei ihrem Vater in Berlin unterkommen. Er aber ließ sie draußen mit ihrem Kind stehen. Ich mußte ihr einfach helfen, schließlich wollte ich nicht so herzlos sein wie mein Vater, der meine Schwester mit einem Baby auf dem Arm einfach vor der Tür hatte stehen lassen. Jeder wußte wie sehr ich ihn dafür haßte ( auch Hauptmann Wagner, der dies sogar schriftlich hat. Nicht umsonst hatte er meinen Lebenslauf so ausführlich haben wollen.)

 

 

Ich kaufte ihr Kleider, weil sie bei ihrer Flucht vor ihrem schrecklichen Mann nicht viel mitnehmen konnte. Sie hatte kein Geld, dafür aber hohe Ansprüche. Mit der S-Bahn fuhr sie nicht, sondern nur mit dem Taxi, was ich zu bezahlen hatte. Weil mir das langsam zu teuer wurde, überließ ich ihr oft meinen Mercedes, den sie gerne nahm. Ich lebte von dem Geld, das mir das Arbeitsamt gab. Das hatte für mich alleine gereicht, nun aber nicht mehr. Ich mußte mir etwas einfallen lassen - diese Frau kostete viel Geld. Damit sie wenigstens etwas Geld bekam, wollte ich mit ihr zum Sozialamt gehen. Dazu war sie aber patu nicht zu bewegen. War sie zu stolz dazu, oder hatte es andere Gründe? Warum sollte jemand auf das Geld verzichten, das jeder vom Sozialamt bekam? Ich bekam das erste Mal den Verdacht, dass vielleicht ihre ganze Geschichte nicht stimmte, die sie mir aufgetischt hatte. Das Verhalten Ihres Sohnes paßte außerdem nicht zu ihrer Geschichte. Er wollte zurück nach Hause und protestierte auf seine Weise. So machte er mit Absicht ins Bett, als er bei mir schlief. Er warf sein Essen aus dem Fenster und sich selbst in der Mitte der Straße auf die Erde und wollte keinen Schritt mehr gehen etc. Er hatte auch nicht den geringsten Respekt vor seiner Mutter. Wenn sie telefonierte redete er mit seiner extrem lauten Stimme immer dazwischen etc. Ich weiß nicht, ob er von seinem Vater geschlagen worden war, er zuckte aber jedesmal zusammen wenn seine Mutter auch nur den Arm hob, wenn sie sich die Haare glatt streichen wollte. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn war ernstlich gestört. Sie sagte mir, dass sie deswegen vor habe, ihren Sohn in eine Anstalt zu stecken. Mir war nicht klar, ob und wer hier in eine Anstalt gehörte. (Ich wußte damals noch nicht, dass sie es war, die nervenärztlich betreut werden mußte.) Ich dachte immer noch, ich hätte beide vor einem gewalttätigen Mann gerettet. Ich würde niemanden gegen seinen Willen festhalten. Ich wollte Klarheit schaffen und forderte sie auf, ihre Scheidung zu Ende zu bringen. Sie sollte sofort ihrem Anwalt schreiben. Sie schrieb aber nicht, so schrieb ich selber an ihren Anwalt Dr. Thelen in Andernach. Ich bekam aber keine klare Antwort. Ich mußte die Sache selbst in die Hand nehmen. Am 20. 6.1979 fuhr mit Gudrun nach Andernach zu ihrem Mann. Dabei sollte sie klare Verhältnisse schaffen. Ihr Mann tat es für sie. Er ließ sie nicht mehr raus. Dagegen unternahm ich nichts. Ich habe altmodische Grundsätze: Solange eine Frau noch gebunden ist, lasse ich mich nicht mit ihr ein. Einerseits war ich etwas traurig, andererseits aber erleichtert, dass dieses Abenteuer zu Ende war. (Hauptmann Wagner dachte allerdings anders darüber. Er war immer noch dabei, seinen größten Coup gegen mich vorzubereiten.)

Wenn ich nun schon einmal am Rhein war, sollte ich ihn mir auch einmal ansehen, schließlich hatte ich ihn noch nie richtig genießen können, denn die Kommunisten hatten alles getan, dass ich ihn nie zu sehen bekam. Für eine Woche machte ich Ausflüge am Rhein.

Auf der Rückfahrt fuhr ich am 27.6.1979 bei der Firma ABS-Pumpen in Lohmar vorbei, die sich für meine Pumpe interessierte (Anhang 15) . (Im März 1979 war ein Artikel über meine Drehkolbenmaschine in der Zeitschrift "fluid" erschienen. Der Besitzer, Herr Blum, empfing mich wohlwollend und gab mir am Ende noch Fahrgeld.

Außer meinem ersten Drehkolbenprinzip zeigte ich den leitenden Ingenieuren noch die Patentanmeldung meines brandneuen "Starrflügelverdrängerprinzips". Dieses wollten sie sofort haben. Ich hatte aber dazu noch kein Modell. Das wäre kein Problem, sie würden selber einen Prototyp bauen. Ich wollte ihnen dazu die Zeichnungen liefern. Das wäre nicht nötig, das Prinzip sei so einfach, die Zeichnungen in der Patentanmeldung würden völlig ausreichen. Ich erklärte ihnen, dass das so einfach nicht gehen wird. (Um mich vor geistigem Diebstahl zu sichern, hatte ich - wie ich es oft tue - mit Absicht nicht alles in diese Patentanmeldung hineingeschrieben.) Sie glaubten mir aber nicht. So mußten sie ihr Glück alleine versuchen. Ich hoffte, dass sie in dem Moment, wenn sie merken würden, dass es so einfach doch nicht geht, zu mir zurück kommen würden und von mir Konstruktionsunterlagen haben wollten.

In kurzer Zeit hatten sie die Hauptteile einer Pumpe fertig. Beim Zusammenbau merkten sie dann - wie erwartet - dass es so nicht funktionierte. Aber anstatt mich nun die Konstruktionsunterlagen machen zu lassen, schmissen sie alles hin. Sie glaubten bewiesen zu haben, dass mein Prinzip nicht funktionierte (Anhang 16) , dabei hatten sie es nur nicht verstanden, oder wollten es plötzlich nicht mehr verstehen. Es sah ganz so aus, dass jemand Sand ins Getriebe gestreut hatte (Sie hatten sich vom SSD total einwickeln lassen, ich wußte es damals nur noch nicht.) Ich erwartete, dass sie mir schrieben: "Wir haben festgestellt, dass Sie Recht hatten. Es geht tatsächlich nicht so, wie wir uns das gedacht hatten und bitten Sie demnach, uns Ihre Konstruktionsunterlagen zu schicken." Dies aber geschah nicht. Stattdessen machte die ABS-Pumpen AG nicht mehr weiter und wurde sogar feindselig. (Genossin Adams hatte den Namen auch dieser Firma an den SSD verraten.) So war es bei jeder Firma, seitdem ich Gudrun Adams zur Freundin hatte. Ich schob es auf die Urlaubszeit. (Das war aber nicht der Grund gewesen. Hauptmann Wagner weiß dies genau.)

Es ist im übrigen viel schwerer zu beweisen, dass etwas nicht geht, als zu beweisen, dass etwas funktioniert. Ein Fehlversuch beweist niemals, dass die Sache hoffnungslos ist.

Die Ingenieure wollten mir tatsächlich weismachen, dass mein Prinzip gar nicht funktionieren konnte. Sie hatten sich derart darin verrannt, dass ich sie nicht mehr auf den rechten Weg zurückführen konnte. Ich sagte ihnen, dass ich aus ihren Teilen immer noch eine Pumpe machen könne. Sie glaubten mir nicht. Sie gaben mir aber auch nicht die Teile, die für sie ja wertlos waren, wenn sie ihren eigenen Worten Glauben schenkten. Jetzt brach ein Streit aus, bei dem der SSD Regie führte. Sie behaupteten, dass meine Erfindung nicht funktionieren konnte - ich wollte ihnen das Gegenteil beweisen. Dazu brauchte ich die Teile, aber die Genossen im Hintergrund wollten nicht, dass ich sie bekomme. So waren sie in einer Zwickmühle. Als ich die Teile haben wollte, kosteten sie anfangs 500,-DM und später sogar 5000,-DM. Das konnte ich nicht bezahlen. Ich mußte einen Anwalt einschalten. Das Tauziehen erstreckte sich über viele Monate. Inzwischen nahm mein Schicksal seinen Lauf.

In Berlin suchte ich weiter nach Firmen. So besuchte ich auch die Copeland GmbH. Dort hatte aber überhaupt niemand Zeit mit mir zu reden. Sie ließen mich einfach sitzen. Die Türen wurden mir vor der Nase zugeschlagen, auch anderswo. Sogar die Betriebe, die schon angefangen hatten, verloren einer nach dem anderen auf unerklärliche Weise ihr Interesse. Auch Herr Otto Hölz wollte den ihm vorgeschlagenen Verdichter nun doch nicht bauen.

Alle Betriebe stellten plötzlich auf halben Wege die Entwicklungen unter Angabe fadenscheiniger Gründe ein. Das Rennen um die besten Plätze bei dieser Erfindung war schon vorbei bevor es richtig begonnen hatte. Jemand hatte die rote Fahne geschwenkt. (Wie der SSD allen Betrieben befehlen konnte, was sie zu tun und zu lassen hatten, ist mir bis heute unerklärlich, denn damit hatten sie mehr Macht in der BRD als die Regierung in Bonn.)

Es sah so aus, dass niemand mehr etwas von mir wissen wollte. Die einzige Ausnahme war Gudrun; sie kam plötzlich wieder und das aufregende Leben mit ihr ging weiter. Bei ihrem Lebensstil war mein Geld bald alle. Normalerweise habe ich immer eine Geldreserve, diese war aber auch fast alle. Auch verschwand Geld aus meinem Auto und aus meiner Wohnung auf unerklärliche Weise...

Sollte ich das Knorr-Angebot doch annehmen? Sie waren die Einzigen, die mich haben wollten - die mich ständig drängten, nach München zu kommen (Anhang 13, 14) . Sie wollten, dass ich meine Erfindungen für sie entwickelte - "alles, was sich verkaufen läßt", sagten sie. Das war genau das, was jeder Erfinder sucht. Alle anderen Türen waren mir außerdem zugeschlagen worden. (So war ich dabei, in die Falle ds SSD zu tappen. Das war die hohe Schule der Menschenführung, die eben nur der SSD verstand.)

Ende Juli hatten sie mich endlich soweit, dass ich den Köder schluckte und den Arbeitsvertrag (Anhang 17) unterschrieb. Mein Gehalt hatten sie inzwischen auf 4.500,-DM hochgeschraubt. Im Vertrag stand überhaupt nicht der Grund, warum sie mich unbedingt haben wollten. Ich wollte das schriftlich haben, so schrieb die Personalcheffin Frau Milazzo hinter "Entw. Ingenieur" noch "für die Entwicklung eigener im Hause verwertbarer Ideen."

Ich wollte eigentlich etwa folgendes "Die Firma Knorr-Bremse GmbH interessiert sich für die von Herrn Diplom-Physiker Wolfhart Willimczik erfundene und im Hause vorgeführte Drehkolbenmaschine und wünscht, dass Herr Willimczik seine Erfindung im Hause zu marktreifen Produkten entwickelt. Nach einer erfolgreichen Entwicklung und Erprobung ist eine Serienproduktion dieser Produkte vorgesehen." So war es mir mündlich gesagt worden und ich hätte drauf bestehen sollen, dass es schriftlich festgehalten wird. Ich glaubte aber, dass das Fehlende sowieso in dem noch abzuschließenden Lizenzvertrag stehen wird.

So wollte ich meine erste Arbeitsstelle in Freiheit begießen. (Ich hatte ja keine Ahnung, in was ich da hineinrasselte). Ich lud alle meine Berliner Freunde zu mir ein. Schrank´s kamen, aber seltsamerweise sonst niemand, die mich ansonsten regelrecht belagerten. (Es war ein Gesetz des SSD, nicht bei mir mit anderen zusammenzutreffen. Es waren entweder immer alle vom SSD, egal wie voll die Bude war, oder keiner - ich wußte dies nur damals noch nicht.)

Seitdem sich Gudrun in mein Leben gedrängt hatte, bekam ich auch keine Einreisen in den Osten mehr. Ich entsinne mich, wie die Grenzer bei der letzten Fahrt mir das Gruseln beibringen wollten.

Nach einem Besuch in Schulzendorf kam ich etwas spät zurück zur Grenze, aber nur ein paar Minuten nach Mitternacht, also nach Ablauf des Visums. Mein Mercedes war das einzige Fahrzeug, das sich dem hell beleuchteten Grenzkontrollpunkt näherte. Sie waren also noch wach, dachte ich, das wird nicht so schlimm werden. Schließlich konnte sich jeder einmal verspäten, weil er - ja, was sollte ich mir ausdenken - Schwierigkeiten mit dem Auto hatte.

Sie nahmen mir die Papiere ab und verschwanden wortlos. Ich wartete.

Nach Stunden hatte sich nichts geändert. Ich wartete immer noch, aber nichts geschah.

Ich stand zwischen zwei Schlagbäumen, einer vor mir, der andere hinter mir; beide hatten sie geschlossen - alles zum Schutze der sozialistischen Errungenschaften.

Nach einer Weile begann ich zu grübeln. Waren die jetzt schlafen gegangen, oder warteten sie auf die Stasi? Nichts rührte sich mehr - stille Nacht. Alles war ruhig an der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin . Es war auch kein einziger Schuß zu hören, also versuchte niemand gerade den Kommunisten zu entfliehen.. Ich saß immer noch in meinem Auto. Warten hatten die Kommunisten mir ja beigebracht. Man wartete immer auf etwas in der DDR, in einer Schlange, die es überall gab, wenn es gerade einmal etwas gab; auf eine Wohnung, auf den Trabbi, auf bessere Zeiten, auf die Ausreisegenehmigung, auf das Antragsformular für eine Genehmigung, auf die Warteliste für die Antragstellung für das Antragsformular einer Genehmigung u.s.w., und letztlich auf das Ende der ganzen Misere - auf die Beseitigung der Grenze. Warten war also ein fundamentaler Grundbaustein des Sozialismus geworden. (Das konnte Karl Marx damals natürlich noch nicht wissen, weshalb es heute keine Theorie des Wartens gibt.)

Vielleicht hatten sie gerade eine neue Parole über den Fernschreiber bekommen, "Genossen, seid wachsam und laßt ihn warten". (Mit "ihn" war der Klassenfeind gemeint - also ich.)

Jetzt machten sie überall das Licht aus; wollten sie mich jetzt in Ruhe schlafen lassen, oder wollten sie mir das Gruseln beibringen? Vielleicht konnte sich die Stasi auch nur nicht entscheiden, in welche Richtung sie mich schicken sollten.

Die Landschaft um mich herum wurde jetzt gespenstisch. Das fahle Mondlicht beleuchtete meinen weißen Mercedes, der zwischen zwei Schlagbäumen eingekeilt war, flankiert von fein säuberlich aufgestellten Spanischen Reitern, einer Baracke und sonst freiem Schußfeld ringsumher. Umrankt wurde das Ganze mit Stacheldraht, der die einzelnen Elemente zu einer Einheit miteinander verband und sich recht zierlich ausnahm, jedenfalls gegenüber den Spanischen Reitern, die selbst einen T54 aufgehalten hätten, falls sich ein solcher Panzer - aus mehr privaten Gründen - in Richtung Westen bewegen würde. Kein Bild hätte besser die Stille im Sozialismus - das Warten auf die Wende - ausdrücken können. Es waren alle Grundbausteine des Sozialismus zu sehen: Eine Mauer, Spanische Reiter, Schlagbäume, Stacheldraht und ein großes Schußfeld mit einer Baracke in der Mitte. Die Grenze war in der Tat das größte unter den Großbauten des Sozialismus und war sogar aus dem Weltraum aus mit bloßem Auge zu bewundern.

Die Grenzer warteten auch auf irgendetwas; auf den nächsten Befehl, oder vielleicht darauf, dass ich irgendetwas tat, was ihnen wiederum die Handhabe dazu gab, die nächste Maßnahme einzuleiten. Mein langes Training in der DDR sagte mir, nichts zu tun - außer zu warten.

Sie konnten mit mir gar nicht viel machen. Seine eigenen Grenzer waren für eine Entführung oder dgl. ungeeignet. Sie machten zu viel Papierkram, und was Hauptmann Wagner machte und befahl wurde nie aufgeschrieben. (Dies spottet ja auch heute noch jeder Beschreibung.) Also war ich hier völlig sicher. Zumindest redete ich mir das ein. Dies war sehr hilfreich, besonders wenn man selber glaubt, was man sich gerade einredet.

So schlief ich am Steuer ein. Solle kommen, was da wolle...

Am Ende haben sie mich irgendwann in Richtung Westberlin fahren lassen. Einer verabschiedete mich dabei mit den Worten,"das nächste Mal fällt der Hammer." Da war es wieder - das alte Lied vom Hammer, der schon im Emblem der DDR zu finden war. "Du mußt Hammer oder Amboß sein..." (Und wenn sie nicht gestorben sind - und die DDR nicht inzwischen untergegangen ist - singen sie es noch heute.) (Falls sie dieses Lied nicht kennen, Lieber Leser, haben Sie nichts versäumt.)

Es war paradox, nicht von jemandem in der DDR, von keinem Nachbarn, nicht von seinen Grenzern, erfuhr Hauptmann Wagner, dass ich meine Familie regelmäßig in Schulzendorf besuchte bzw. mich mit ihnen in Ost-Berlin traf, sondern von seinen Genossen um mich herum im Westen, wobei an erster Stelle Genossin Adams zu nennen wäre. Er war außer sich über seine dummen Grenzer, die meinen Namen weder lesen noch schreiben konnten. Sie hatten ihre Schwarze Liste anfangs recht primitiv in einem Computer gespeichert, der keine Ähnlichkeitsbeziehungen machen konnte, d.h., wenn nur ein Buchstabe anders war, fand er meinen Namen nicht, selbst wenn er direkt darunter stand. (Später haben sie das allerdings langsam verbessert.)

Die Genossen an der Mauer waren nicht diejenigen, die sich in Zukunft mit mir zu befassen hatten; dafür hatte Hauptmann Wagner andere ausgesucht.

Von nun an sollten diese beiden Genossen an meiner Seite mein Schicksal bestimmen.


Gudrun wollte sich jetzt bei mir häuslich einrichten und ihre Sachen aus Andernach holen. Ich sollte mit ihr nach Andernach fahren. So fuhren wir los - schon wieder. Sie hätte jetzt alles mit ihrem Manne geklärt. Aus irgendeinem Grunde wollte sie aber nicht, dass ich mit ihrem Mann zusammen träfe. Ich sollte mich bei ihrer Freundin Christa Vollrath aufhalten und ihr den Codenamen "Tulpe" sagen, dann wüßte sie Bescheid. Ich bin der Letzte, der solch einen Zirkus wie in einem Spionageroman mitmacht. Wenn man mich mit einem Spion vergleichen will, so befinde ich mich genau am anderen Ende des Spektrums. Ich verabscheue sie, besonders diejenigen, die ihre eigenen Familienmitglieder und Freunde verraten.

Ich parkte meinen Wagen direkt vor Gudrun`s Haus und ließ sie reingehen, um ihre Sachen zu holen. Sie kam nicht mehr heraus; stattdessen kam ihr Mann und erklärte nur kurz, dass Gudrun nicht mehr mit mir zurückfahren würde. (Jetzt fing also das Theater wieder von vorne an.)

Nanu, ich dachte, dass er nichts mehr von ihr wissen wollte. Stimmte vielleicht die ganze Geschichte nicht, die sie mir erzählt hatte?

Ich hatte die Nase voll, sollen sie doch erst einmal mit sich selber fertig werden. Ich werde nicht dazwischen gehen und eine Ehe zerstören. Es war außerdem mit Gudrun nur ein Strohfeuer gewesen. Irgendetwas stimmte mit ihr nicht, soviel hatte ich schon gemerkt - und nicht nur, weil sie ständig log und bei mir lange Finger machte. Ihre Verhältnisse gaben mir zu viele Rätsel auf, aber darüber brauchte ich mir nun nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, denn das Kapitel "Gudrun" war für mich nun endgültig zugeschlagen.

Auf der Rückfahrt dachte ich schon an Gabi, die ich in Berlin wegen Gudrun einfach links liegen gelassen hatte. Ich mußte das wieder gut machen. Sie war genau das Gegenteil von Gudrun: ehrlich, anständig und bescheiden.

Der Umzug nach München stand auch bevor. Wenn meine Arbeit klappt, kommt alles andere von alleine, dachte ich. Der SSD hatte andere Ideen, von denen ich nichts ahnte.

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