Der Ringflügler

Wir hatten keine Zeit zu verlieren, denn der Erfinder begann schon im Notaufnahmelager an seiner "Fliegenden Untertasse" zu arbeiten und knüpfte neue Kontakte. Besonders sein Besuch beim Institut für Luft- und Raumfahrt war alarmierend. Die eingesetzten Genossen hatten alle Hände voll zu tun, seine neuen Kontakte wieder zu zerschlagen. Außerdem begann die Jagd nach den Unterlagen seiner "Fliegenden Untertasse", die er uns in der DDR vorenthalten hatte. Die handelnden Genossen waren froh, dass er es ihnen so leicht machte und die Genossen, die er schon in seiner Zelle in Cottbus kennen gelernt hatte, in seine Wohnung ließ. Leider fanden sie aber nicht das Gesuchte. Der SSD wußte aus Erfahrung, dass er Erfindungsunterlagen auch im Auto versteckte. Bei einer Reise nach Italien (um etwaigen Untersuchungen durch deutsche Behörden zu entgehen) wurde sein Wagen untersucht und alle seine Sachen aus dem Auto sichergestellt. Der Genosse Reiner Goltsch fuhr mit ihm mit und hatte den Erfinder dabei unter Kontrolle zu halten. Die Unterlagen wurden wieder nicht gefunden. So ging die Jagt weiter. (Aus seinem Kofferradio sollte eventuell eine Bombe gemacht werden um ihn als Bombenleger der Polizei zuzuführen, damit seine Vernehmungen von unseren Genossen, die es bei der Polizei zur genüge gab, weiter führen zu können.)

Nachdem ich im Notaufnahmelager etwas Zeit hatte, machte ich mich meine erste Patentanmeldung in Freiheit. Eine billige Schreibmaschine kaufte ich im Vorbeigehen. Es war zufällig die gleiche, für die ich im Osten jahrelang gekämpft hatte. Am 1. Mai 1978 - und zu dessen "Ehren" - schickte ich meine Patentanmeldung nach München - das erste Mal als stolzer Bundesbürger. Niemand konnte meinen Brief mehr abfangen. Am 3.5.1978 wurde meine Patentanmeldung "Ringflügler (Ringflügel-Schwebeflugzeug" beim Deutschen Patentamt registriert und bekam das Aktenzeichen P 28 19 421.0 (siehe Empfangsbescheinigung in Anhang 4). Die Patentanmeldung ist in Anhang 5 - 9. Nachdem sich die Genossen des SSD so viel Mühe gegeben haben, an diese Unterlagen zu kommen, tue ich heute im Jahre 2000 ihnen den Gefallen und veröffentliche sie. Sie hätten meinen Garten in Schulzendorf noch mehrmals umgraben können; sie hätten sie nicht gefunden, weil es sie damals noch gar nicht gab. Es war die "Erfindung ", die ich beim SSD in Potsdam während der Untersuchungshaft gemacht hatte, als ich merkte, dass sie mich statt in den Westen, in eine Irrenanstalt abschieben wollten. Ich suchte damals verzweifelt nach einem Ausweg. Das Ungeheuer des Sozialismus war dabei, sein nächstes Opfer zu verschlingen. Ich brauchte damals einen fetten Brocken, den ich den Kommunisten in ihr weit aufgerissenes Maul stecken konnte, sonst wäre es mir so wie vielen anderen Physikern ergangen, und keiner hätte je wieder etwas von mir gehört. Diese Idee war in größter Not entstanden. Ob sie sich praktisch verwirklichen ließ oder nicht, spielte dabei überhaupt keine Rolle. Die Frage war damals nur, ob die Genossen es schluckten - oder nicht, ob sie mich ins Irrenhaus brachten - oder nicht. Sie hatten es geschluckt und ich hatte das Schlimmste verhindern können. Seitdem hatte ich allerdings noch ein anderes Problem: jetzt wollten sie dafür meine "fliegende Untertasse" haben, um ihren drohenden Untergang abwenden zu können.

Die ersten Monate in Freiheit wollte ich selber erst einmal wissen, wie tragfähig die Sache eigentlich war. Nur Experimente können diese Frage beantworten. Nur die Natur kann einem mit Bestimmtheit sagen, ob etwas funktioniert oder nicht. Also baute ich mein erstes Modell - aus Pappe, dem Material, das ich im Notaufnahmelager zur Verfügung hatte.

Bevor ich über diese Idee ernsthaft sprach, wollte ich mich selber mit der Sache etwas beschäftigen, d.h., experimentieren, recherchieren und Meinungen einholen.

 

Mein Ringflügler in Pappe im Notaufnahmelager in Berlin-West. Das Kofferradio im Hintergrund wurde mir später vom SSD gestohlen.

Ich schrieb Briefe an verschiedene Stellen, so zum Beispiel an MBB (Messerschmitt-Bölkow-Blohm) (Anhang 10). Die Technologie-Vermittlungs-Agentur in Berlin nahm für mich weitere Kontakte auf (Anhang 11).

Dabei ergab sich folgendes: Versuche, bewegte Luft über einen stationären Tragflügel zu leiten (Coanda Effekt) sind gemacht worden und zeigten einen um 35% geringeren Wirkungsgrad als wenn man den Luftstrom einfach nach unten richtet, um Auftrieb zu erzeugen. Ich hatte das befürchtet, deshalb hatte ich schon vorher einen anderen Weg eingeschlagen. Ich versuchte, beide Effekte so zu kombinieren, dass ein besserer Wirkungsgrad herauskommt, als bei den Einzeleffekten, d.h., zuerst wird schnelle Luft über einen Tragflügel geleitet und dann, wenn der Luftstrom langsamer und größer geworden ist, wird er nach unten abgelenkt. (Ein langsamer Luftstrom mit mehr Masse ist mehr effektiv, als ein kleinerer mit einer hohen Strahlgeschwindigkeit. Es ist ein Jonglieren mit dem Impulssatz und anderen Gesetzen, um die optimale Konfiguration zu finden. Dieses könnte aber nur in Experimenten gemacht werden.

Da die prozentualen Anteile der Reibungsverluste mit der Größe abnehmen, würde man also die besten Wirkungsgrade mit großen Fluggeräten erzeugen können, z.B. bei Startgewichten über 1000 Tonnen. Ein Bündel von Triebwerken würde über dem Fluggerät einen Unterdruck wie in einem Tornado erzeugen, an dem sich das Fluggerät hochzieht. (Exakt gesprochen - natürlich hoch drückt, weil es einen "Unterdruck" genau genommen gar nicht gibt.) Verblüffend ist, dass es, obwohl ich es von innen heraus konstruiert hatte, so aussieht, wie viele eine "Fliegende Untertasse" gesehen haben wollten.



Die erste Skizze meines Ringflüglers

So könnte vielleicht eine Versuchsanordnung aussehen, mit der man verschiedene Effekte einzeln messen könnte. (Heute würde ich die Sache allerdings anders angehen. Das hier Gezeigte entspricht dem Stand von 1978.) Dann könnte man die verschiedenen Parameter so lange ändern, bis die optimale Konfiguration erreicht ist. Am Ende sollte ein senkrecht startendes und landendes Fluggerät herauskommen, das zwei Effekte benutzt und höhere Startgewichte hat als ein Hubschrauber, weil die physikalische Grenze eines Rotors weggefallen ist.

Wenn es gelänge eine geeignete Rückführung eines Teiles des Luftstroms dazu zu benutzen, um einfache Staustrahltriebwerke am Leben zu erhalten, brauchte man gewöhnliche Triebwerke nur zum Anwerfen. Dann würde ein Bündel von Staustrahltriebwerken die Arbeit übernehmen. So hätte das größte Flugzeug der Welt für den Schwebeflug die gleichen Triebwerke wie das bisher schnellste Flugzeug der Welt, die SR-71 oder black bird (übersetzt: schwarzer Vogel).

In Westberlin sprach ich in dieser Sache beim Institut für Luft und Raumfahrt vor. Experimente konnten aber nicht gemacht werden. Wo ich es auch noch versuchte, ich hatte keinen Erfolg. Ich mußte erfahren, dass die gesamte Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet in die USA verlagert worden war, weil es sich herausgestellt hatte, dass sich in Deutschland nichts geheim halten ließ. So hatten alle meine Aktivitäten keine Wirkung, nur beim SSD brach eine hektische Aktivität aus, wovon ich allerdings noch nichts wußte. Für mich war die Sache erledigt; ich hatte außerdem wichtigere Dinge zu tun. Wichtiger als jede Erfindung war für mich meine Familie. Um sie hatte ich noch zu kämpfen. Zunächst trafen wir uns in der CSR; dies war aber keine Dauerlösung.

Natürlich war mir von Seiten der "DDR" eine Wiedereinreise verboten worden. Mit kleinen Tricks schaffte ich es aber doch einige Male, einen Tagespassierschein zu bekommen.

Auf der Rückfahrt nahm ich auch ein paar persönliche Sachen mit, allerdings war ich mir nicht sicher, ob man sie mir an der Grenze nicht wieder abnehmen würde. Ich wollte auch meine Drehkolbenmaschine, die schon einmal kurz im Fernsehen zu sehen war, mitnehmen. Diese hatte mir Dr. Vogel aber schon in den Westen nachgetragen gehabt. (Ich dachte damals, dass das ein netter Zug von ihm sei; es war aber ein direkter Befehl von Hauptmann Wagner gewesen und hatte einen ganz bestimmten Zweck...)

 




Mein Sohn René vor unserem Grundstück in Schulzendorf. (Mein Renault im Hintergrund.)

 

Das mit den Besuchen konnte nicht lange gut gehen. Wenn schon die Grenzer nichts merkten - irgend jemand aus der Nachbarschaft könnte die Stasi alarmieren, dass sie mich gesehen hätten. Dies war aber unbegründet, niemand tat es, auch nicht der Polizist, der direkt gegenüber wohnte und der alte Beobachtungsposten gegenüber unserem Grundstück war unbesetzt seitdem ich weg war. Der Verrat meiner Besuche kam später aus einer ganz anderen Richtung.

(Ich mußte umlernen, in der Tat wurde die Macht der Stasi trotz ihrer großen Zahl im Osten immer geringer, im Westen aber dafür ständig größer. Der harte Kern des SSD begann schon viele Jahre vor dem Fall der Mauer sich mehr und mehr auf den Westen zu konzentrieren. Die Stasi, die sich wie ein zu groß geratener Schmarotzer um eine Gesellschaft rankte, erstickte sie langsam aber sicher. Das wußten natürlich solche Genossen wie der schlaue Hauptmann Wagner ganz genau. Die "DDR"-Bürger, die zwar hart schuften mußten, produzierten nur Ostgeld für die Stasi, das so gut wie nichts wert war. Die Stasi brauchte aber richtiges Geld, um das Heer der Agenten zu bezahlen - solches, das sie mit dem Verkauf ihrer Gefangenen in den Westen machte. Wenn sie noch mehr Geld machen wollte, mußte sie logischerweise ihre Aktivitäten dorthin verlagern, wo das Geld war - in den goldenen Westen. Selbst wenn - was sie schon voraussahen - die ganze "DDR" mit wehenden Fahnen untergehen würde, diese Genossen würden überleben - mit großen Konten in der Schweiz und anderswo.)

Die Behörden in Westberlin behandelten die politischen Gefangenen wohlwollend, obwohl es auch Probleme gab, weil der SSD auch Kriminelle und natürlich viele Agenten auf diesem Wege einschleuste.

Bei der Aufnahme meiner Personalien saß die Beamtin vor einem Computer und verglich die offensichtlich schon gespeicherten Daten mit dem, was ich ihr sagte. Ich sagte ihr auch, dass ich geschieden beziehungsweise zwangsgeschieden sei, dass schluckte sie aber gar nicht. Sie glaubte ihrem Computer, den Götzen der modernen Zeit, mehr als mir. (Das Scheidungsurteil war ja erst am Ende meiner Haftzeit verhängt worden und der Westen war offensichtlich nicht mehr darüber informiert worden.) So wurde ich eben weiter als "verheiratet" geführt, wogegen ich mich nicht sträubte.

Viele waren in einem schlechten gesundheitlichen Zustand entlassen worden und bekamen großzügig Krankengeld ausgezahlt, ich auch. Das war für mich eine Überraschung, dass wir Geld bekamen ohne hier jemals gearbeitet zu haben. Dabei wurde ich nicht mit meinem letzten Gehalt in der DDR eingestuft, was umgerechnet nicht einmal 200,-DM gewesen wären, sondern mit über 4000,-DM, dem Gehalt, das ich hier im Westen bekommen hätte. Selbst die spätere Arbeitslosenhilfe war viel mehr, als ich je im Osten verdient hatte. (Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich mich nicht mit dem alten Renault rumgeärgert, sondern mir gleich ein richtiges Auto gekauft.) Dies war das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Gefühl bekam, dass sich das Studium gelohnt hatte. Auch eine Kur wurde mir gewährt- ebenfalls die erste in meinem Leben. (In der ehemaligen "DDR" hatte ich nie weder eine Kur noch einen Urlaubsplatz bekommen - ich war ja auch nie in der Partei gewesen.)

Zusammen mit der Familie von Helmut S. fuhr ich an den Starnberger See nach Bernried in Bayern. Für einen Badeurlaub war es zwar ein bißchen kalt, dafür gingen wir aber in den Alpen spazieren, sogar bis zur Schneegrenze. (Für einen ehemaligen "DDR"-Bürger war es schon eine Erholung, den ganzen Tag geradeaus laufen zu können, ohne auf eine Kalaschnikow zu stoßen, an der jemand dran hing, der sie auf einen richtete.) Helmut S. hatte das Glück, dass seine Frau mit ihren zwei kleinen Kindern ausreisen durfte. Sie hatte meine beiden Söhne in der Wartehalle zum Zuchthaus Cottbus gesehen. Sie mußten dort lange warten, durften ihren Vater aber nie sehen. Alles was staatsgefährdend war hatten die Kommunisten verboten, also auch, dass meine Söhne mich als Gefangenen sahen. In der Logik der Kommunisten war dies schlüssig. Kinder sollten zum Hass gegen alle Westdeutschen erzogen werden. (Dies war eine offizielle Partei-Direktive für alle Lehrer in der "DDR"). Die politischen Gefangenen in Cottbus würden bald Bundesbürger sein. Ein Kontakt zwischen Vater und Sohn würde aber nicht den Hass schüren, also nicht den gewünschten Effekt haben -und alles, was nicht dem Staat dient, ist staatsgefährdend. Deshalb war also ein Zusammentreffen zwischen Vater und Sohn staatsgefährdend und fand niemals statt.

In Westberlin halfen die Behörden auch dabei, eine Wohnung zu finden. Das war aber gar nicht so leicht, wie ich dachte. Ich glaubte, dass hier viele Wohnungen leer stehen würden. Die Stadt war schließlich nicht so günstig gelegen. Inmitten der Russen-Zone war sie von einer Mauer umgeben, wo nachts Kalaschnikows hin und wieder ratterten. Tausende von russischen Panzern standen ständig bereit. Die Umgebung von Berlin war praktisch ein einziges Aufmarschgebiet. Es wäre für die Russen nur eine Sache von Stunden gewesen, bis sie mit ihren Panzern auf dem Kuhdamm spazieren fahren würden. Die Stadt lag praktisch im weit aufgerissenen Maul der Roten Armee, die sie aus irgendeinem Grunde aber nicht herunterwürgen konnte. Es war erstaunlich wie die Westberliner dieser Übermacht trotzten. Sie waren den Kommunisten gegenüber total abgebrüht und ließen sich durch nichts einschüchtern - das gefiel mir. Das war auch kein Wunder, sie waren ja durch die Blockade der Russen 1948/49 hart abgekocht worden.

Ich erinnerte mich noch gut, wie leicht es gewesen war, in Blankenfelde am Rande von Berlin in den Fünfzigern eine Wohnung oder eine schöne Villa zu bekommen, weil täglich so viele abgehauten. Die "DDR" hatte vor dem Mauerbau kein Wohnungsproblem, dies wurde erst durch den Mauerbau erzeugt.

Schließlich fand ich in Westberlin eine möblierte Wohnung am Bundesplatz. Da ich keinen Raum für eine Werkstatt hatte, stellte ich eine alte Drehbank auf dem Flur auf, wo neue Dinge Gestalt annehmen sollten.

Es kamen erstaunlich viele aus dem Zuchthaus Cottbus nach Berlin. Reiner Goltsch war aus meiner ehemaligen Zelle und besuchte mich oft. Ich dachte er wäre ein anständiger Kerl und ließ ihn auch in meine Wohnung. Er war zwar auch nur sehr kurz im Zuchthaus Cottbus gewesen, verhielt sich aber völlig unauffällig. Mir fiel jetzt nur auf, dass er immer politische Sendungen im Fernsehen sehen wollte und ich absolut nichts mit Politik zu tun haben wollte.



Die ehemaligen Zellengenossen mußten mich alle mögen, denn sie kümmerten sich alle rührend um mich. Als ich mit dem alten Renault nicht mehr in den Osten einreisen konnte, weil inzwischen das Nummernschild auf der Schwarzen Liste stand, borgte er mir seinen großen BMW, um am Wochenende damit nach Schulzendorf fahren zu können. Das fand ich sehr nett, denn es war ein großes Risiko für ihn. Seinen BMW hätte er dabei vielleicht nie wieder gesehen - wie ich mich irrte. Im September wollte er mit mir zum Formel 1 Rennen nach Monza und an die Riviera fahren. Er war Kraftfahrzeugmechaniker und liebte wie ich große Wagen. Ich freute mich schon darauf, auch einmal mit seinem BMW fahren zu dürfen. Kurz vor der Reise bestand er plötzlich drauf, dass wir mit meinem alten klapprigen Renault fuhren. Hier hatten wir unseren ersten Streit. Ich verstand ihn nicht. (Ich hatte auch keine Ahnung, dass dies von Hauptmann Wagner so befohlen worden war.)

Leider war ich zu leicht zu allem zu überreden und gab nach. Ich sehnte mich auch zu sehr nach der südlichen Sonne und dem Meer, das mir die Kommunisten mein ganzes Leben lang vorenthalten wollten.


Das erste Mal konnte ich solche Landschaften sehen und genoss es.
(Die Aufnahme ist aus dem fahrenden Auto gemacht.)



Niemand, der nicht selbst "lebenslänglich" als "DDR"- Bürger gehabt hatte, kann sich das befreiende Gefühl vorstellen, einfach in Orte reinzufahren, deren Namen man vorher nicht einmal auszusprechen gewagt hatte.


Das Rennen in Monza am 10.9.1978 begann mit einer Katastrophe. Vom Start sahen wir nur eine große Rauchwolke (Bild). Ein unqualifizierter Starter hatte grünes Licht gegeben, bevor die letzten Wagen zum Stehen gekommen waren, was in einer Katastrophe enden mußte. Die letzten Wagen versuchten das gesamte Feld beim Start zu überholen, was natürlich nicht gut gehen konnte. Peterson starb leider bei dieser Massenkarambolage. Mir war die Lust vergangen, ich wollte zurück zum Auto gehen, wir hatten sowieso keinen Sitzplatz mehr gefunden und außerdem keine gute Sicht. Reiner hielt mich aber mit allen Mitteln fest. So blieben wir bis zum Schluß an dieser Stelle. Ich merkte aber immer noch nicht, dass dies alles zu seinem Plan gehörte.

 

Als sich die Menschenmassen zurück zum Parkplatz wälzten fand ich meinen Wagen aufgebrochen und ausgeräumt. Meine Sachen waren alle weg, auch das Kofferradio, das ich mir schon im Notaufnahmelager gekauft hatte und auf dem Bild zusammen mit meinem Modell des Ringflüglers zu sehen war. Die Sachen von Reiner Goltsch waren eigenartigerweise überhaupt nicht angetastet worden. Ich sah außerdem, dass der Wagen gründlich untersucht und dabei teilweise auseinander genommen worden war. Dies wollte ich sofort der Polizei melden. Reiner hielt mich davon ab. Das wäre hier normal in Italien und er wollte hier weg. Jetzt dämmerte es mir langsam, dass er selbst mit der Sache etwas zu tun haben könnte.

Wir fuhren weiter, um das erste Mal im Mittelmeer zu baden. Es war herrlichstes Wetter und wir schliefen gleich am Strand. Wir waren ständig zusammen. Er machte auch viele Bilder von mir. Er selbst wollte aber auf keinen Fall fotografiert werden.

 

 

 

Ich machte aber doch wenigstens ein Bild von ihm, was er zähneknirschend hinnehmen mußte. Ich befürchtete, dass er sonst vielleicht nie mit mir in Italien gewesen war, wenn er später darüber befragt werden sollte.

 

Während dieser Reise hielt Reiner Goltsch die Verbindung zu seinen Genossen, die mein Auto ausräumten.

 

Reiner entfernte sich nur einige Male um etwas einzukaufen, wie er mir sagte. Er machte dabei aber auch noch andere Sachen. Langsam wurde mir klar, warum wir unbedingt mit meinem Wagen fahren mußten. Außerdem machten wir diese Reise offensichtlich nicht alleine. Seine Genossen waren ständig in der Nähe. Wir fuhren noch etwas die Riviera entlang; es war aber kein Urlaub mehr, bei dem man sich entspannen konnte. Irgendetwas Unausgesprochenes lag zwischen uns. Es mehrten sich verdächtige Dinge. Am Ende hat er sich durch sein schlechtes Gewissen selbst verraten. Nach dieser Fahrt distanzierte er sich von mir. Er konnte mir nicht mehr in die Augen sehen. Er war keiner der hartgekochten Offiziere vom Format eines Hauptmann Wagner.


Ein Agent aber kommt selten allein. Wenn einer ging war schon ein anderer da, der sich "liebevoll" um mich kümmerte. Es war wieder ein ehemaliger Zellenkamerad aus Cottbus, der ebenfalls nur kurze Zeit dort war. Er begleitete mich von Cottbus nach Westberlin, München und Frankfurt. Mir hatte er sich als Thomas (Tommy) Scheutzlich vorgestellt gehabt, wurde später aber unter dem Namen Wolfgang Grams bekannt und gesucht.
Er schien überall zuhause zu sein und jeden zu kennen.

 

Er machte mich mit anderen bekannt, so z.B. mit einer Gabi Ulig, einer netten Krankenschwester in Westberlin, die er - wie es schien - von irgendwoher kannte. Ich fand sie nett und ging mit ihr aus. (Meine Familie konnte ich nicht mehr besuchen. Ich bekam keine Einreisegenehmigung mehr.) Sie war einsam - ich auch - so nahm ich sie mit nach Hause. Alles war wunderbar, bis auf etwas, was sie mir nicht sagen konnte. Ich spürte, dass sie in irgendeinem Konflikt war. Heute weiß ich was es war. Sie sollte gegen mich spionieren und konnte es nicht tun. Sie war ein zu ehrlicher Mensch. Der SSD merkte das auch, und wollte uns deshalb wieder auseinander bringen.

 

Weil ich es einem Mitgefangenen in Cottbus, Peter Schön, versprochen hatte, wollte ich ihm die gewünschte Nachricht zukommen lasen. Dazu besuchte ich seine Eltern in München. Er wußte nicht, warum er so lange im Zuchthaus fest saß. Ich sollte ihm einen Brief schreiben, in dem diese Nachricht verschlüsselt vorkommt. Er hatte sich dazu eine bestimmte mathematische Funktion merken müssen. Nach dieser Funktion mußte ich die Nachricht in dem Brief verschlüsseln. Es war eine Methode, die ich mir in Cottbus ausgedacht hatte und die ohne einen verräterischen Zettel auskam. Heute weiß ich, dass der SSD gierig darauf wartete, wie das funktionieren sollte.

Was der SSD weiß sollten alle wissen, deshalb hier die Grundzüge:

X sind die einzelnen geschriebenen Zeichen, die man einfach von 1 bis n abzählt. Y sind die Buchstaben der Nachricht von 1 bis m. Den Zeichen x werden neue Zeichen y zugeordnet und zwar nach der Funktion y = f(x), die frei gewählt werden kann. Das ist schon das ganze Prinzip. man kann grundsätzlich jede Funktion verwenden. Der Trick ist die gute Wahl dieser Funktion. Die einfachste Funktion ist y = x, dann ist der lesbare Text mit der in ihm verschlüsselten Nachricht identisch; diese

Funktion ist also unbrauchbar. Jetzt kann man je nach Geschmack und Grad der mathematischen Kenntnisse die Funktion verändern, wodurch die geheime Nachricht in dem lesbaren Text verschwindet. Man muß aber den Text entsprechend schreiben. Das nimmt lange Zeit in Anspruch, wenn beide Texte einen Sinn ergeben sollen.

Hier tut sich aber ein weites Feld von möglichen Codierungen auf. Die Variationsmöglichkeiten sind praktisch (auch theoretisch) unbegrenzt. Es ist eine ziemlich sichere Methode, aber auch eine schwierige und zeitraubende. Peter Schön brauchte etwa eine Woche im Zuchthaus Cottbus, um diese eine Nachricht zu decodieren, obwohl er die Funktion kannte. Man braucht mathematische Kenntnisse und muß geübt sein. Mir hat diese Methode nie etwas genützt, weil es einfach immer Menschen in meiner Nähe waren, die mich immer wieder an den SSD verraten haben.

In Berlin versuchte ich auch, meine Drehkolbenmaschine an den Mann zu bringen. So führte ich sie auch in der Maschinenfabrik Spandau vor. Dort war man interessiert. Am 5. 10. 1978 13 Uhr wurde beim Geschäftsführer Herrn Sons der Abschluss eines Lizenzvertrages vereinbart. Ein Forschungsauftrag sollte außerdem an die TU (Technische Universität Berlin) vergeben werden.

Meine Zukunft schien gesichert zu sein, bis sich der SSD einschaltete. Ich konnte es nicht fassen, dass er auch hier im Westen den Betrieben befehlen konnte, was sie in meinem Fall zu tun hatten. Irgendwie tat er es aber. So ist es leider nie etwas mit diesem Lizenzvertrag geworden, obwohl ich mich noch lange abgestrampelt hatte. Auch bekam ich keinen Arbeitsplatz. Da nützte es auch nichts, dass ich ihnen später noch ein besseres Prinzip angeboten hatte. Sobald der SSD von einer Sache Wind bekam, ging nichts mehr. (Dies ist bis heute so geblieben. Der SSD hat inzwischen Routine darin entwickelt.)

Reiner Goltsch kam mich weiterhin besuchen. Er gab mir am 15.10. 1978 sogar 200,-DM für die Sachen, die mir aus dem Auto in Monza gestohlen worden waren. Der SSD wollte, dass er an mir dran blieb. Sie hatten ja bisher auch keine Erfindungsunterlagen über die "Fliegende Untertasse" gefunden. "Weiter suchen Genossen", hallte die Stimme des Hauptmann Wagner durch die Ränge des SSD.

Obwohl ich noch keine Arbeit hatte und noch keine meiner Erfindungen verkaufen konnte, wurde mein alter Traum war. Einmal nach Gran Canaria zu fliegen. Es war für mich der Himmel auf Erden. Der SSD war mir hier nicht hinterher geflogen. Ich fühlte mich frei wie noch nie in meinem Leben. Fast jeden Tag machte ich neue lockere Bekanntschaften. Mein Kalender füllte sich mit Namen von jungen hübschen Mädchen.

 

Von einem solchen Urlaub hatte ich in der trüben "DDR" nur träumen können. Was die ehemalige "DDR" doch für einen Aufwand getrieben hat, nur zu verhindern, dass ihre Bürger einmal im Jahr an einem solchen Strand liegen können! Jetzt genoß ich alles in vollen Zügen, wie sonst keiner. Mit Tatjana und ihrer Freundin ging ich Abends noch in eine gut klimatisierte Disco, wo man einen Wasserfall durch die Disco leitete. Sie war fast leer. So tanzte ich mit beiden gleichzeitig und war überrascht, wie leicht das ging. Meinen Geburtstag feierten wir zusammen. Es war wunderschön. So ein sorgenfreies Leben hatte ich bisher noch nicht kennengelernt. Ich hätte gleich da bleiben können, Eine Frau mit einem eigenen Haus lud mich dazu ein. Ich verlängerte meinen Aufenthalt; am Ende war ich aber doch so dumm, wieder zurückzufliegen. Das Jahr 1979 war angebrochen. Ich hätte einige Mädchen besuchen können, deren Adressen ich auf Gran Canaria gesammelt hatte. Ich besuchte aber nur einmal eine Eva in Salzburg und ging mit ihr Ski laufen. Ich mußte zuerst eine Erfindung verkaufen, damit ich es mir auch leisten konnte.

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