Entlassung in ein neues Leben
Die hohen Genossen beim SSD und der Partei waren sehr verschnupft, dass sie nun den Erfinder als politischen Gefangenen gemäß eines Geheimvertrages an den Westen auszuliefern hatten. Sie wollten bei ihm gerne eine Ausnahme machen; die gab es aber nicht. Hauptmann Wagner hatte alle Tricks versucht, den Erfinder in der DDR - und damit unter strikter SSD-Kontrolle zu halten. Er hatte versucht, ihn in eine Falle zu locken, einzuschüchtern, zu erpressen und in einer Nervenanstalt verschwinden zu lassen, weil es von dort keinen Weg in den Westen gab. Nach einer langen Untersuchungshaft hatte Hauptmann Wagner noch im Sommer 1977 persönlich versucht, ihn aus dem Zuchthaus Cottbus zu locken, um die Geheimverträge zu unterlaufen - aber ergebnislos. Der Erfinder zwang uns zu schärferen Maßnahmen, war von den leitenden Genossen zu hören. Verzweifelt stoppte der SSD sämtliche Transporte in den Westen. Daraufhin gab der Bundesgrenzschutz den Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze wieder Feuerschutz - eine Sprache, die die Kommunisten verstanden. So wurden sie an die Einhaltung des Geheimvertrages über den Gefangenenabkauf erinnert. Es gab wieder Transporte in den Westen - aber nicht für den Erfinder. Ihn ließ man bis zum Ende seiner 18 monatigen Strafe sitzen. Im Februar 1978 mußten sie ihn zähneknirschend in die BRD entlassen, aber nicht ohne kurz vorher durch eine Zwangsscheidung seine Familie zu zerstören. Sie unterliefen damit den Geheimvertrag und verhinderten so, dass seine Frau und Kinder mit ausreisen durften.
Seine Übersiedlung in den Westen war sorgfältig vorbereitet worden, sowohl vom Erfinder als auch vom SSD. Der Erfinder hatte gesagt, dass er im Westen schnell Millionär sein werde. Für Hauptmann Wagner war dies eine Herausforderung es zu verhindern. Dies könnte sonst zu antisozialistischer Propaganda ausgenutzt werden. Der Erfinder hatte viele Kontakte geknüpft - wir hatten sie wieder zu zerschlagen. Der Befehl verlangte die Eliminierung aller seiner Kontaktpersonen, die er auf der Leipziger Messe kennengelernt hatte und die Eliminierung aller Personen, die ihn möglicherweise unterstützen würden, wie z B. Robert Mikolajek in München. Diese Personen, die in seinem Notizbuch standen, starben so alle vor seiner Entlassung in den Westen. Die Ermordung des Generalbundesanwalts 1977 gehörte mit dazu. Zur Durchsetzung der Ziele des SSD durfte der Erfinder im Westen keine seiner Kontaktpersonen mehr antreffen. Der SSD selbst wollte ihn mit "offenen Armen" empfangen. Was mit dem Erfinder im Westen geschehen sollte, wollte allein der SSD bestimmen. Der Erfinder sollte auch im Westen unter Kontrolle gehalten und von der Gesellschaft isoliert werden - also zumindest mundtot gemacht werden. Er sollte seine Erfindungen nicht vermarkten können.
Die Kommunisten planten ein Kesseltreiben gegen einen Einzelnen in einer ansonsten demokratischen Gesellschaft in einem bisher nie dagewesenen Ausmaß. Es war eine Herausforderung für alle sozialistischen Kräfte in Ost und West. Dem Erfinder wurde keine Chance eingeräumt. Ein gut organisiertes Kollektiv des SSD wird immer stärker sein als ein einzelner, isolierter Mann - wer immer er auch sei. Dies lehrt uns der Marxismus-Leninismus.
Der weitsichtige Hauptmann Wagner hatte den Erfinder schon im Zuchthaus Cottbus mit einem starken Kollektiv von SSD-Agenten - getarnt als politische Gefangene - umgeben, die er dem Erfinder in den Westen voraus und hinterher schickte. (Auch diese wurden vom Westen abgekauft.) Sie alle hatten im Westen ihre speziellen Aufgaben zu lösen und ließen den Erfinder auch im Westen nicht aus den Augen. Zunächst verschwand er allerdings aus dem Notaufnahmelager und die Amerikaner kümmerten sich um ihn. Wir verloren für kurze Zeit seine Spur. Einige Genossen hatten Angst, dass die Amerikaner ihn ganz unter ihre Fittiche nehmen würden. Dann tauchte er aber glücklicherweise wieder auf und der SSD konnte mit den lange vorbereiteten operativen Maßnahmen beginnen. Als erstes wurde ihm ein Auto geschenkt, bei dem alle nötigen elektronischen Einrichtung schon fest installiert waren. So war es überflüssig, ständig hinter ihm herzufahren und trotzdem jeden seiner neuen Kontakte zu überwachen. Westberlin war dazu bestens geeignet. Mit Empfängern in der DDR rings um Westberlin konnte der Sender in seinem Wagen von allen Himmelsrichtungen aus angepeilt werden. So wußten wir ständig wo er war und er selbst machte sich höchstens als Spion verdächtig, weil er ständig Signale in den Osten sendete.
Die Partei der Arbeiterklasse lenkte, leitete und bezahlte die Genossen in Feindesland, damit sie in ihrem heroischen Kampf gegen den Klassenfeind - sprich Erfinder - nicht strauchelten. Schulter an Schulter mit den Genossen bei der Polizei, dem BLKA und der Staatsanwaltschaft stand nun ein Kollektiv von kampferprobten Genossen bereit, um den Erfinder befehlsgemäß unter die gewaltigen Räder der Staatsmacht zu bringen.
(Wenn der Erfinder das geahnt hätte, wäre er sicherlich lieber in Schulzendorf bei seiner Familie geblieben.)
Falls diese hoch gesteckten sozialistischen Ziele im Westen nicht durchsetzbar wären, gäbe es noch schärfere Maßnahmen gegen den Erfinder - sowie die übliche "Endlösung".
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Die Uhren in der ehemaligen "DDR" - besonders in den sozialistischen Gefängnissen gingen nur sehr langsam. Von 1976 bis 1978 wartete ich als politischer Gefangener hinter dicken Mauern auf den Bus, der mich geradewegs durch die sonst undurchdringliche Mauer in die Freiheit bringen sollte. Ich war im Sozialismus aufgewachsen - habe also warten gelernt. Das ganze Leben in der ehemaligen "DDR" bestand aus Warten: man wartete in Schlangen, wenn es gerade einmal etwas zu kaufen gab, man wartete auf die Auslieferung des Trabbi, den man vorausschauend schon gleich nach der Jugendweihe vor vielen Jahren bestellt hatte, man wartete auf eine Wohnung, auf den Klempner, der wiederum auf seine Teile wartete - und alle warteten darauf, dass das Warten ein Ende haben würde, also auf das Ende des Sozialismus. Dies war allerdings noch nicht in Sicht.
Viele hatten in der allgemeinen Lethargie schon völlig abgeschaltet, waren "angeklappt" und warteten nur darauf, dass jemand kam und ihnen sagte, was sie als nächstes machen sollten. Beim Warten verlangsamt sich die Zeit. (Wenn Sie das nicht glauben, dann versuchen Sie einmal 5 min zu schätzen, einmal beim ungeduldigen Warten - das andere Mal bei Ihrer Lieblingsbeschäftigung.)
Den Kommunisten gelang es glücklicherweise aber nicht, die Zeit ganz anzuhalten. Sonst hätten wir ihre in Beton gegossenen fahlen Gesichter für alle Ewigkeit zu bewundern gehabt. Den im Universum eingefrorenen Sozialismus gab es zum Glück nicht. So hatte das Warten, ja sogar der weit verbreitete passive Widerstand am Ende doch Erfolg. Aber so weit sind wir noch nicht. 1977 war immer noch Kalter Krieg - Kommunisten breiteten sich immer noch wie Aidsviren aus. Es wuchs aber auch der Widerstand in der Welt.
Es war eine paradoxe Situation. Wir saßen zwar als politische Gefangene, die es offiziell im Sozialismus gar nicht gab, in einem sozialistischen Zuchthaus fest, waren also zweifach eingemauert, trotzdem hatten die Kommunisten keine absolute Macht mehr über uns. Sie konnten nicht mehr über unsere Zukunft entscheiden. Wir waren wie Sklaven einer modernen Sklavenhaltergesellschaft, die darauf warteten, aus ihrer Sklaverei freigekauft zu werden. (Deshalb hätten die Kommunisten sich die Mauer um das Zuchthaus sparen können, denn keiner machte einen Fluchtversuch - im Gegenteil, es drängten immer mehr in dieses Zuchthaus hinein, um der großen Mauer - dem großen Gefangenenlager zu entkommen. Dies dauerte normalerweise etwa 9 Monate und die Familien durften dann mit ausreisen, auch wenn nur der Mann eingesperrt war. In meinem Fall reagierten die Kommunisten allerdings völlig anders. Sie wollten mich patu nicht gehen lassen, obwohl sie mich offensichtlich gar nicht mehr wollten, denn ich bekam keine Arbeit mehr, war also höchstens nur noch ein "Bremsklotz am Siegeswagen des Sozialismus"(Jargon der Kommunisten). Sie sollten also froh sein, dass sie mich los würden, zudem sie sogar noch Geld für einen Nichtsnutz bekamen. Sie konnten den Grund für diesen Widerspruch nicht nennen. (Sie konnten ja nicht zugeben, dass sie mir systematisch meine Erfindungen stahlen und in der freien Welt selber vermarkteten und jetzt befürchteten, dass dies auffliegen könnte, wenn sie mich in den Westen entließen und ich an entsprechende Informationen käme. Dies war auch der Grund dafür, warum kein VEB-Betrieb meine Erfindungen übernehmen durfte und ich meine Erfindungen nicht im Fernsehen zeigen durfte. Aber das sagte mir keiner; das mußte ich alles erst selber herausfinden.)
Um den Geheimvertrag zu unterlaufen, hatte Hauptmann Wagner vom SSD-Potsdam noch einmal persönlich im Sommer 1977 versucht, mich aus dem Zuchthaus zu locken. Damit der Geheimvertrag zur Anwendung - und ich mit meiner Familie in den Westen ausreisen konnte, mußte ich aber genau in diesem Zuchthaus bleiben, es war damals der einzige Umsteigebahnhof in den Westen. Deshalb blieb ich stur auf meinem angestammten Platz im Zuchthaus sitzen, um auf meinen Bus in den Westen zu warten. Man hätte mich mit Gewalt rausholen müssen, was aber von anderen Gefangenen als Vertragsbruch im Westen berichtet worden wäre. Über meine Sturheit geriet Hauptmann Wagner so in Wut, dass er seine Fassung verlor und dem Gefangenen Wolfhart Willimczik persönlich den Krieg erklärte. Ich käme im Westen auch unter die Räder, warf er mir noch als Abschiedsworte nach. Dann fuhr er geradewegs zu meiner Frau nach Schulzendorf, um sie als Hebel gegen mich einzusetzen. Außerdem begann er meine weitere "Behandlung" im Westen vorzubereiten. Ich erfuhr nur, dass der Generalbundesanwalt ermordet worden war, sah aber keinen Zusammenhang mit der Kriegserklärung von Hauptmann Wagner mir gegenüber.
Ich merkte nur, dass er mich den bitteren Kelch des Sozialismus bis auf den letzten Tropfen austrinken ließ. Er ließ mich bis zum Ende meiner Haftzeit im sozialistischen Zuchthaus Cottbus sitzen und ließ meine Familie nicht mit ausreisen.
Durch eine vom SSD beauftragte Zwangsscheidung mußten meine Frau Heidi und meine beiden Söhne René und Ronny hinter
dem Eisernen Vorhang bleiben. Die zwanglose Fröhlichkeit war aus den Gesichtern meiner Söhne gewichen - sie hatten erste Bekanntschaft mit dem
Sozialismus gemacht.
Die Genossen unterliefen die Geheimverträge indem sie auf Befehl von Hauptmann Wagner kurz vor dem Ende meiner Haftzeit meine Familie durch eine
Zwangsscheidung zerstörten. Dies war das Gemeinste, was Genosse Wagner uns antun konnte, zumal er genau wußte, dass ich nur deshalb einen
Zuchthausaufenthalt auf mich genommen hatte damit meine Familie mit ausreisen durfte.
Mich selber mußten die Kommunisten letztlich zum Ende meiner Haftzeit am 10.2.1978 an den Westen verkaufen, ob sie nun wollten oder nicht. Sie waren gezwungen, sich an den Geheimvertrag zu halten, wonach jedem politischen Gefangenen in der DDR nach Verbüßung seiner Strafe die Ausreise gewährt werden mußte.
Der berühmte Bus brachte uns ohne anzuhalten über die innerdeutsche Grenze - der SSD, der immer in der Nähe war, machte es möglich.
Wir hatten das Gefühl, dass wir, gerade aus der Hölle entkommen, die Chance für ein zweites Leben bekommen hatten. Für jemanden, der sozialistisch erzogen war, war es unbegreiflich aber wahr : es gab tatsächlich ein Leben nach und neben dem Sozialismus!
Statt eines Ausweises hatten wir einen Entlassungsschein, mit dem wir im Notaufnahmelager in Gießen unser Eintreffen anzeigten. Nicht zu vergessen die meistbegehrteste Urkunde eines jeden Bürgers der ehemaligen "DDR": die Urkunde für die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der "DDR" (Anhang1) . Sie war für mich wie die Geburtsurkunde für ein neues Leben.
(Ich kam genau 7 Tage vor dem Ablauf meiner 18 Monate Freiheitsentzug an. Für die von den Kommunisten großzügig geschenkten 7 Tage bekam ich 2 Jahre Bewährung. Dies würde allerdings nur wirksam werden, wenn ich es wagen würde, wieder in die DDR einzureisen, oder wenn ich die Autobahnen der DDR benutzen würde.)
Im Durchgangslager in Gießen wurden wir gut verpflegt und bekamen etwas warmes anzuziehen. Es gab auch Vernehmungen, allerdings nicht in der Art des SSD. Nur einmal bekam ich den Eindruck, dass mir wieder einer der Genossen selbst gegenüber säße. Es wäre ein guter Trick des SSD, hier zu sitzen und zu sagen: "Na, nun erzählen sie einmal alles, was sie dem SSD verschwiegen haben."
Einige Mitglieder der CDU trauten diesen Vernehmern offenbar auch nicht ganz, und machten lieber ihre eigenen Vernehmungen.
Anwälte waren auch da. Sie erklärten uns, dass die Urteile nach Paragraph 213 STGB der ehemaligen DDR aufgehoben würden bzw. "die Ausführung des Urteils für illegal erklärt wird" - wie es im Amtsdeutsch heißt. Andere Urteile wie Scheidungen würden nicht aufgehoben; die gäbe es auch hier. Dies war ein erster Schock für mich. Ich erklärte, dass meine Zwangsscheidung ebenfalls vom SSD fabriziert worden sei und ebenfalls anfechtbar sein müsse. Weder meine Frau noch ich haben die Scheidung je gewollt. Sie wurde direkt von einem Hauptmann des SSD namens Wagner angeordnet. Wir hatten nicht den geringsten Einfluß auf das Ergebnis. Es war die gleiche Prozedur wie bei meiner ersten Verurteilung gewesen: der SSD ordnete an und ein Marionettentheater führte es aus. Es war für mich ebenfalls ein Terrorurteil des von den Kommunisten selbst proklamierten "Terror der Arbeiterklasse", der vom SSD in die Tat umgesetzt wurde, also von illegalen Machtorganen, die im übrigen - wie die gesamte sogenannte "DDR" - von der BRD nie anerkannt worden waren. Die Zwangsscheidung anzuerkennen, hieße DDR-Unrecht anzuerkennen - es sogar zu zementieren.
Ich konnte reden was ich wollte. Das schluckten die Anwälte nicht. Das Wort "Zwangsscheidung" kam in ihrem Vokabular nicht vor. Sie konnten oder wollten mir dabei nicht helfen. Ich hatte mehrere angesprochen, sie waren aber alle offenbar aus dem gleichen Holz geschnitzt. Sie folgten genauso stur irgendwelchen Direktiven wie ein Soldat seinen Befehlen. Die Frage ist nur, welchen Anweisungen sie folgten. Diese Frage ist bis heute nicht beantwortet. Nur eines ist sicher, Hauptmann Wagner hätte seine helle Freude an dem Verhalten dieser Anwälte gehabt. Sie waren nicht die Berufsgruppe, die den Kalten Krieg gewonnen hat. Sie hatten keine Ahnung vom real existierenden Sozialismus. Ich wünschte, dass einer dieser Anwälte einmal den gleichen Weg durch die Mühlen des SSD gehen würde, damit er einmal einen Blick auf die Wirklichkeit werfen könne.
Diejenigen, die die Geheimverträge ausgearbeitet hatten, hätten sich besser von jemandem beraten lassen sollen, der die Kommunisten studiert und am eigenen Leibe erlebt hatte und ihre Sprache kennt. So kommt das Wort "Zwangscheidung" in den Verträgen überhaupt nicht vor, nur dass Familien nicht auseinandergerissen werden sollten. Der SSD hatte ein leichtes Spiel, die Geheimverträge zu unterlaufen; Familien doch auseinanderzureißen, die politischen Gefangenen zu enteignen etc. Die Kommunisten argumentierten, dass es die Familie Willimczik zum Zeitpunkt meiner Ausreise ja schon nicht mehr gegeben habe, also auch nichts mehr auseinanderzureißen gab. Dies war die Logik der Kommunisten.
Wenn das Urteil der Zwangsscheidung nicht aufgehoben werden kann, werde ich meine Frau eben gleich wieder heiraten, vielleicht in der CSR, dachte ich. Ich versuchte alles Mögliche, führte deswegen einen Papierkrieg. Am Ende kam nichts dabei heraus. Der SSD hatte diese Schlacht gewonnen - Gratulation Genosse Wagner!
Dann werden wir uns eben als auf dem Papier geschiedenes Ehepaar so oft es geht im Osten treffen, während ich in Westberlin arbeite, dachte ich. Wir liebten uns mit oder ohne Papiere. Die Kommunisten hatten auch dagegen etwas - aber ich möchte nicht vorgreifen.
Entgegen den allgemeinen Empfehlungen ging ich aus diesem Lager direkt nach Westberlin, die als Frontstadt im Kalten Krieg angesehen wurde, weil sie inmitten der ehemaligen DDR lag und der SSD sogar mit seinen Dienstwagen rein und raus fuhr, als wenn es die Mauer überhaupt nicht gäbe. Ich hatte aber noch nie Berührungsängste mit den Kommunisten gehabt; es schien eher umgekehrt zu sein, dass sie aus einem mir unbekanntem Grunde vor mir Angst hatten. Warum sollte ich jetzt also zurückweichen, wo ich jetzt nicht mehr alleine war, sondern die Machtorgane einer soliden Demokratie auf meiner Seite wußte?
In Westberlin angekommen umgaben mich gemischte Gefühle. Ich war wieder fast zu Hause, werden die Kommunisten aber erlauben, dass ich meine Familie besuche? Konnte ich mir hier ein neues Zuhause aufbauen?
Schon auf dem Flugplatz merkte ich, dass hier das Leben pulsierte. Ich hatte früher oft nachts über die Mauer hinweg den schier ununterbrochenen Lichterketten der fahrenden Autos lange und sehnsüchtig zugesehen, bis mich die Wirklichkeit wieder hatte, die dunklen, ungepflegten Straßen von Ost-Berlin, wo man um diese Zeit höchstens einer Grenzstreife begegnen konnte. Jetzt war ich inmitten des Getümmels und konnte das erste Mal seit dem 13.8.1961 wieder frei atmen - es war unfaßbar. "Solch ein Gewimmel möcht ich sehn, ein freies Volk auf freiem Grunde stehn.." kam es mir in den Sinn. Ich fühlte genau so wie Goethe es in seinem "Osterspaziergang" ausgedrückt hatte.
Mir gefiel Westberlin auf den ersten Blick. Die Menschen hier sprachen immer noch die gleiche Sprache, mit der ich aufgewachsen war. Es gab keine Sperrstunden; man konnte hier durchfeiern. Es gab ein buntes Leben wie in keiner anderen Stadt.
Zunächst wurde ich in das Notaufnahmelager in Berlin - Marienfelde eingewiesen.
Malow bzw. Blankenfelde waren vor dem Mauerbau nur wenige S-Bahn Stationen entfernt gewesen; jetzt lagen Welten - sprich Mauer - dazwischen.
Wenn ich bedenke, wie bequem ich früher, also vor dem Mauerbau, sogar mit dem Fahrrad hätte in dieses Lager fahren können, wird mir heute noch ganz schlecht. (Frage mich niemand, warum ich es nie getan habe - ich weiß es nicht.)
Auch in diesem Lager gab es einige Vernehmungen durch die Alliierten, die in Westberlin die Regierungsgewalt besaßen. Verglichen mit meinen Vernehmungen beim SSD waren sie allerdings nur ein gemütlicher Kaffeklatsch. Außerdem wurde ich mit einer Limousine aus dem Lager abgeholt und wieder zurückgebracht. Die Amerikaner wußten über mich offensichtlich gut Bescheid. Sie versuchten mir gar nicht erst eine Zigarette anzubieten, sondern stellten mir gleich Pralinen hin - sie wußten schon, dass ich nicht rauche. Sie interessierten sich offenbar für meine Erfindungen und luden mich nach München in ihr Hauptquartier ein. Zusammen mit einem Kybernetiker, mir dem ich mich schon beim Eintreffen in Cottbus angefreundet hatte, flog ich nach München. Beim Landen sah ich zum erstenmal die Alpen, ein Anblick, den mir die Kommunisten ein Leben lang vorenthalten wollten - und dafür einen ungeheuren Aufwand aufgebracht hatten. Dafür genoß ich diesen Anblick jetzt doppelt. Da haben die Bayern etwas zum Vorzeigen, ging es mir durch den Sinn. Direkt am Flugzeug wurden wir von Amerikanern abgeholt, Sie hatten Fotos von uns in der Hand, damit sie die Richtigen abholten. In München, Traunsteiner Straße 1, gaben sie uns Unterkunft und gute Verpflegung. Abends konnten wir in München bummeln gehen, wodurch die Sache schon interessant wurde.
Sie hatten Experten, die meine Erfindungen kennen lernen wollten. Ich selbst hatte natürlich im Moment keinerlei Unterlagen, hatte sie aber in den zurückliegenden Jahren auf verschiedenen Wegen in den Westen geschickt, z.B. einem Onkel Robert Mikolajek in München. Ich hatte es also jetzt einfach, ich brauchte sie nur abzuholen, um sie den Amerikanern zeigen zu können. Leider mußte ich aber hören, dass er verstorben war. Ich hatte ihn persönlich nie kennengelernt. Als er im letzten Jahr meine Frau in Schulzendorf besuchte, war ich ja in Cottbus im Gefängnis. Das war großes Pech, dachte ich. Ich war damals weit davon entfernt, zu glauben, dass der SSD etwas mit seinem Tod zu tun haben könnte. Menschen starben schließlich auch ohne Hilfe des SSD. Im Jahre 1977 waren Elvis Presley, der Physiker Werner Heisenberg und andere gestorben, die ich gerne persönlich hätte sehen wollen. Ich glaubte an einen dummen Zufall, der dummerweise zum Vorteil des SSD ausfiel, denn meine Erfindungsunterlagen konnte ich nun nicht bekommen. Seine Frau wußte nichts über sie. Niemand sonst (außer dem SSD - wie ich heute weiß) wußte überhaupt, dass er meine Unterlagen hatte. Er war natürlich dem SSD seit langem ein Dorn im Auge gewesen, weil er für mich Briefe (in Anhang 3 ist ein Beisspiel) schrieb bzw. weiterleitete, die sonst der SSD abfing. (In Anhang 2 ist ein Brief von Prof. Huber (den ich leider auch nicht mehr lebend antraf) aus Westberlin von 1968 an mich, der den damaligen Zustand zeigt: Die Kommunisten erlaubten keine freie Kommunikation zwischen zwei Menschen.)
Mein Onkel Mikolajek hatte sogar persönlich Kontakte zu Betrieben für mich geknüpft. Er wußte, dass ich bald entlassen werden müßte und im Westen eine Stelle und eine Wohnung suchen werde. Vielleicht hätte er mich anfangs sogar bei sich aufgenommen, wie der SSD befürchtete. All dies werde ich nie erfahren, denn er war nun tot. Ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl wegen seines Todes, denn es schien, dass ich ihn verursacht hatte. Ich hatte den Beamten im Osten seinen Namen gegeben (Anhang 3a) , weil er mir meine Patentanmeldungen in München finanzieren wollte. Ich glaubte, dass mir die Kommunisten eine Patentanmeldung beim Deutschen Patentamt eher genehmigen werden, wenn sie wüßten, dass ich die ganze Sache auch finanzieren könne. Ich konnte mir beim besten Willen damals nicht vorstellen, dass ich ihn damit den Mördern des SSD auslieferte. Der SSD war aber schon dabei, meine Erfindungen im Westen zu verkaufen, also durften keine Informationen von mir - dem eigentlichen Erfinder - zum Deutschen Patentamt fließen. Deshalb wurden mir Patentanmeldung von nun an strikt verboten (Anhang 3c) . Dies betraf auch meinen Hubkolben-Lineargenerator. Die Beamten nennen ihn in dem Brief nur "Hubkolbenmaschine", weil sie mit dem Wort nichts anfangen konnten. (Es ist dasselbe wie der sog. "Stelzer Motor" - nur noch mit einem Generator zur Stromerzeugung .) Beamten, die nichts von meinen Erfindungen verstanden, urteilten darüber. Nein, das ist nicht richtig. Sie mußten ja gar nichts davon verstehen, denn das Urteil stand ja vorher schon fest, wie alles im Sozialismus - und war vom SSD diktiert, der zwar auch nichts von erfindungen verstand, dafür aber um so mehr davon, wie man Technologie stahl.
Mit diesem Schreiben zogen sie mir natürlich auch den Boden unter den Füßen weg. Meine Logik sagte mir, dass ich mit meinen Erfindungen machen konnte was ich wollte, wenn die Kommunisten sie nicht haben wollten - jedenfalls offiziell nicht.
Wenn sie mir sagten, dass ich in München kein Patent anmelden durfte, sagten sie andererseits natürlich auch, dass ich es nicht durfte, solange ich "DDR-Bürger" wäre...
Dieses Schreiben trieb mich also aus dem Lande. Seitdem suchte ich ja auch ernstlich nach Wegen, meine Familie und mich aus diesen Zuständen heraus zu bekommen. Zwei Monate später machte ich ja meinen ersten "Fluchtversuch", bei dem ich geschnappt werden sollte, damit ich sicher sein konnte, dass meine Familie mit ausreisen durfte. Innerhalb der Prioritätsfrist meiner Patentanmeldungen (1Jahr) würden wir im Westen sein und ich könnte selber in München meine Nachfolgepatente anmelden.
Dies war natürlich nur meine Logik.
In der Logik der Kommunisten hieß das Ganze etwas anders:
"Es ist mir verboten, in München ein Patent anzumelden.
Wer gegen dieses Verbot verstößt, wird bestraft.
Da in der BRD die normalen Strafen für "DDR-Bürger" nicht angewendet werden können, gibt es dort nur eine Ausführungsform einer Bestrafung..."
So war der feige Mord an Robert Mikolajek in den Augen der Kommunisten nichts weiter als die Vollstreckung der DDR-Gesetze bzw. der von Lenin proklamierte Terror des Proletariats.
(Ich darf mir hier ein Urteil erlauben, denn ich hatte sie genauestens mit Hautkontakt studiert und unter ihnen gelebt. Ich hatte mit den Söhnen und Töchtern aus dem "Inneren Zirkel" auf der Schulbank gesessen, den Marxismus-Leninismus studiert und im Gefängnis die Kommunisten von ihrer anderen Seite kennengelernt gehabt. Außerdem habe ich über 25 Jahre die "Feldarbeit" des SSD kennen gelernt.)
Man darf die Kommunisten nicht als Beamten mit einer nur etwas schlechteren Verwaltungsarbeit ansehen, sondern als das, was sie wirklich waren: die größte organisierte Bande von Lügnern, Dieben und Mördern.
Er war nach Christine Kappelt/Gerber nun schon der zweite Mensch, der zur gleichen Zeit gestorben war, was dummerweise zum Vorteil des SSD ausfiel. (Christine Kappelt/Gerber, meine Freundin aus Dresden, war auch 1977 gestorben, nachdem sie mir einen Brief ins Zuchthaus geschrieben hatte, wie ich auch erst später erfuhr - bei einer Operation im Krankenhaus, wie es hieß. War dies auch ein dummer Zufall, oder war jemand in den Operationssaal hineingeplatzt um zu befehlen: "Dieser Patient wacht nicht mehr aus der Narkose auf."
(Jeder DDR-Bürger hatte das einmalige Privileg einer kostenlosen medizinischen Behandlung. Der Nachteil war nur, dass jederzeit der SSD reinkommen und den Ärzten alles befehlen konnte, sofern sie Parteimitglied waren, was fast alle waren. Der SSD konnte dies tun, er konnte überall eindringen, jede Anordnung überschreiben. In der DDR war er allmächtig und Mord hatten die Kommunisten als "Terror des Proletariats" auf ihre Fahnen geschrieben. Es war für sie ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer verbrecherischen - durch politische Propaganda übertünchten kriminellen Ziele. Es funktionierte so gut, dass es ein fester Bestandteil der für alle kostenlosen Gesundheitsfürsorge wurde. Im Gegensatz zu den Nazis ließen die Kommunisten am Ende nicht mehr so viele Leichen herumliegen. Sie hatten aus der Geschichte gelernt. Wir werden nie erfahren, wie viele Morde die Kommunisten auf diese Weise begangen haben. Heute sagen die Genossen nur, dass sie einige Geschwüre entfernen mußten, damit der Körper der Gesellschaft gesund blieb.)
Meine Erfindungsunterlagen hatte ich außerdem noch an einen Vertreter der Firma Daimler Benz geschickt, den ich auf der Leipziger Messe kennengelernt hatte. So mußte ich nach Stuttgart fahren, um meine Unterlagen zu holen. Helmut H. empfing mich wohlwollend. Er hatte alles fein säuberlich in einem Hefter geordnet aufgehoben. Im Falle meines "Druckluftmobils" hatte er schon eigene Zeichnungen angefertigt. Am liebsten hätten wir am nächsten Tag schon mit der Entwicklung in seinem Betrieb begonnen...
Er war damals enttäuscht darüber gewesen, dass ihn die Sicherheitsabteilung seines Betriebes nach unserem ersten Treffen in Leipzig nicht mehr in die DDR gelassen hatte. (Mir sollte bald klar werden, wie lebenswichtig diese Entscheidung für ihn gewesen war.) Trotzdem waren wir die ganzen Jahre in Kontakt geblieben. Als ich eingesperrt wurde, hatte Helmut H. meinen Fall den Behörden und Amnesty International gemeldet.
Jetzt schenkte er mir noch einen Fotoapparat, bevor ich wieder nach München fuhr, um den Amerikanern meine Unterlagen zu zeigen. Sie wollten alle meine Erfindungen in allen Einzelheiten wissen. So dauerte es einen Monat, bis sie mich wieder nach Westberlin entließen.
Zuvor hatten sie mir noch eine Fahrerlaubnis ausgestellt. Es wäre eine besondere Fahrerlaubnis, sagten sie. Das mußte stimmen, denn der SSD setzte alles daran, sie mir wieder zu stehlen - aber ich möchte nicht vorgreifen.
Die Amerikaner hatten mir zwar gesagt, dass ich nicht mehr in den Ostblock reisen solle, auch Westberlin empfahlen sie mir nicht; sie sagten mir aber nicht, dass ich mit einer Großoffensive des SSD gegen mich zu rechnen hätte, dass ich meine alten Zellengenossen meiden sollte etc.
Sie wußten offenbar viel mehr, als sie sagten. Ich frage mich immer wieder, warum die Amerikaner über alles so genau Bescheid wußten, während die deutschen Behörden überhaupt nichts wußten. Was aber nützt alles Wissen, wenn sie es nicht demjenigen geben, der es braucht?
Ich mußte schon deshalb nach Westberlin, weil ich jedes Wochenende mit meiner Familie in Schulzendorf verbringen wollte - so träumte ich jedenfalls. Meine Familie ging mir über alles. (Wenn ich nach Amerika gegangen wäre, hätte ich meine Familie nie mehr wiedersehen können. Das war einfach undenkbar.)
Zusammen mit Helmut S., dem Kybernetiker, flog ich von München zurück nach Westberlin, wo wir uns erst einmal etwas umsahen.
Den Kommunisten endlich entkommen!
Zwei ehemalige politische Gefangene der ehemaligen "DDR" unter dem Funkturm in Berlin 1978
In einer kleinen Kneipe am Ku'damm (Kurfürstendamm) wollte ich meine Schwester in Ost-Berlin anrufen, damit sie wußte, wo ich war. Es war, da es von West nach Ost über die Mauer ging, handvermittelt und ich mußte lange warten; das wußte ich. In der Kneipe waren nur wenige, da es noch früh am Tage war. Aus Langeweile musterte ich alle Anwesenden. Nach einer Weile kam einer rein, der einfach nicht in die Landschaft paßte. Ich wollte irgendeine Reaktion von ihm, deshalb starrte ich ihn provokatorisch an. Er war hart im Nehmen, verzog keine Miene und sagte kein Wort. Das war höchst ungewöhnlich für die lockeren Westberliner. Die hätten mir schon längst irgendeine Unverschämtheit ins Gesicht geschleudert: "heh Männeken, wat kiekste denn so dämlich", oder etwas ähnliches Er aber saß da wie eine Statue - oder wie ein hoch disziplinierter Agent des SSD, der sich durch nichts in der Welt provozieren ließ, schoss es mir durch den Kopf. So wurde ich immer aufdringlicher - jetzt wollte ich es genau wissen. Er war hartnäckig - ich war es auch. Ich hatte keine Berührungsängste, zumal es für die Genossen kein Heimspiel mehr war. So ging es eine ganze Weile weiter. Er wußte sich nicht mehr zu helfen, gab auf und verschwand. Dafür kam aber ein anderer herein - einer der gleichen Marke, der den ersten offensichtlich ablöste. Ich lernte schnell, dass diese Burschen immer gleich in ganzen Horden auftauchten; ich wollte aber noch mehr lernen. So begann das Spiel von neuem. Der Neue sagte nichts, rührte sich nicht und versuchte meine stechenden Blicke zu ignorieren. Er paßte genausowenig in die Landschaft, wie der erste. Er benahm sich ebenfalls so professionell unauffällig, dass es einfach auffallen mußte.
Jetzt schaltete sich mein Freund mit ein und starrte ihn ebenfalls an. Das konnte nicht lange gut gehen; er hielt unseren Blicken nicht stand und verließ ebenfalls fluchtartig die Kneipe, die gerade zu einem Schlachtfeld des Kalten Krieges zu werden drohte.
Dieses Mal rannten wir hinter ihm her. Nach der ersten Ecke konnten wir ihn aber schon nicht mehr sehen. Die Erde mußte ihn verschluckt haben. Sie zogen sich also schnell wieder in ihre Rattenlöcher zurück, wenn man ihnen auf den Versen war - sollten sie nur.
Uns war nun klar, was geschehen war. Statt mein Gespräch zu vermitteln, hatte die Dame in der Vermittlung nur den SSD alarmiert gehabt. Dann hatte der SSD seine Genossen dorthin geschickt, wo das Gespräch angemeldet worden war. So waren die Genossen hier aufgetaucht, während ich auf mein Gespräch wartete, was nie kam. Der SSD hatte mich ja für eine Weile aus den Augen verloren gehabt, als ich bei den Amerikanern gewesen war. Diese Aktion war eine alte eingeschliffene Methode des SSD, bestimmte Leute im Westen aufzuspüren, wenn sie ein Telefongespräch in den Osten anmeldeten. Seit dieser Zeit folgten sie mir wieder auf Schritt und Tritt; nur ein versuchter Anruf in den Osten, und schon hat man die Bluthunde des SSD im Nacken. So waren nun mal die Genossen: immer und überall wachsam - auf Wacht für den "Frieden".
Ich fand es nicht wert, wegen dieses Vorfalles zur Polizei zu gehen. Sollten die Genossen mir ruhig hinterherlaufen - na und? Was konnten sie hier im Westen schon gegen mich unternehmen? Ich wußte genau was ich wollte, und niemand in der Welt konnte mich davon abhalten. Ich werde hier meine Erfindungen verkaufen - ob sie das wollen oder nicht, ob sie in meinen Unterlagen stöberten - oder nicht, ob sie in meinem Müll schnüffelten - oder nicht. Was ich mache kann jeder wissen, ich werde es sowieso veröffentlichen. Ein Lizenzvertrag kann ebenfalls öffentlich gemacht werden - und der SSD haßt die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser. Schließlich haben sie keine Befehlsgewalt über die Betriebe hier. Den VEB-Betrieben konnten sie meine Erfindungen verbieten; wie aber sollten sie hier den Betrieben vorschreiben, was sie in meinem Fall zu tun hatten? Sollten sie versuchen, mich hier auch mundtot zu machen und zu verleumden, werde ich meine Erfindungen im Fernsehen vorführen und ihr Lügengebäude mit einem Hieb hinwegfegen. Außerdem könnte ich sagen was eventuell geschehen könnte, damit es nicht geschieht. Das Schlimmste war für mich natürlich, wenn es den Genossen gelingen würde, mich als einen der ihren hinzustellen. Dies war ein Alptraum für mich. Deshalb wandte ich mich noch im Auffanglager ans Fernsehen. Ich wollte einiges über die Pläne der Kommunisten sagen, von denen offensichtlich im Westen keiner etwas wußte. Das Fernsehen lehnte es aber ab. Dies war eine Enttäuschung für mich und machte das Feld frei für die Offensive des SSD: (Eine Offensive des SSD beginnt immer damit, dass sie einem zunächst genau das besorgen, was man gerade braucht.)
Ein alter Mitgefangener aus Cottbus namens Christian Radehaus nahm Kontakt mit mir auf. Er war in meiner Zelle in Cottbus gewesen, allerdings nur kurze Zeit. Er wurde schnell in den Westen entlassen. Er hatte sich auch schon verdächtig gemacht und war außerdem ein unfertiger Physiker, wie sie zu Hunderten als Agenten in den Westen geschickt wurden; aber das verdrängte ich, weil ich es einfach zu rührend fand, wie er sich um mich zu kümmern schien. Er konnte außerdem meine Gedanken lesen. Ich war noch im Notaufnahmelager, dachte aber schon daran, mir ein altes Auto zu kaufen und sofort meine Familie in Schulzendorf zu besuchen.
(Ich weiß, dass einigen die Haare zu Berge stehen, wenn sie hören, dass jemand, der mit viel Entbehrungen, viel Geld vom Staat und nach einer langen Haftzeit den Kommunisten gerade entrissen worden war, gleich wieder einzureisen versuchte. Ich hatte aber alles nur für meine Familie getan. Wenn ich jetzt aufgab, wäre alles umsonst gewesen. Das wäre einfach undenkbar).
Bevor ich mir selbst ein Auto kaufen konnte, lockte mich Christian R. nach Münster, wo schon ein Auto auf mich wartete, das er extra für mich besorgt hätte - und das er mir schenken wolle! Wie konnte ich dem wiederstehen? Es wäre ein "R16"; ich wußte nicht was das war, aber wer schaut schon einem geschenkten Gaul ins weit entfernte Maul. So sagte ich zu und besuchte ihn in Münster.
Das was jetzt kommt, konnte er nur mit jemandem machen, der gerade aus dem Osten kam (und so dumm war wie ich) und noch keine Zeit hatte, sich umzuschauen, noch nie auf einem Markt für gebrauchte Autos gewesen war, also nicht weiß, wie billig sie im Westen angeboten wurden, weil sie keiner wollte, während man sich im Osten darum prügeln würde. Es war ein alter unverkäuflicher Renault 16 ohne TÜV und ohne Nummernschild. Er hatte schon Strafe zahlen müssen, weil der Wagen ohne Nummernschilder lange vor seiner Tür stand und die Kinder damit spielten und anfingen ihn zu demontieren. (Er hatte das Auto zur rechten Zeit bereitgestellt - der SSD wußte ja schließlich genau, wann ich eintreffen werde. Nur weil die Amerikaner mich für einen Monat behielten, kam alles aus dem Tritt. So bekam er wegen des alten abgemeldeten Autos vor seiner Tür schon Ärger mit der Polizei und mußte Strafe zahlen.) Niemand im Westen hätte diesen Wagen mehr genommen - auch nicht geschenkt, höchstens der Schrotthändler. Ich hatte meine Bedenken als ich das traurige Stück sah; er aber hatte die Überzeugungskraft eines russischen Panzers - es koste mir ja schließlich nichts und einem geschenkten Gaul... - aber das kennen Sie ja schon.
Bevor ich mir den Wagen überhaupt von unten ansehen konnte, fuhr er mit mir in die Stadt, machte mir die Neuanmeldung auf meinen Namen und besorgte mir auch die Versicherungen. Als der Versichungsmakler merkte, dass er es hier mit einem unerfahrenen Neuling zu tun hatte, verkaufte er mir gleich ein ganzes Bündel von Versicherungen, die ich weder brauchte noch bezahlen konnte, aber die Rechnungen kamen ja erst später. Jetzt bedrängten mich beide alles schnell zu unterschreiben, denn als nächstes wollte er mir auch einen Paß beschaffen, was für mich viel interessanter war, also unterschrieb ich schnell. (Ich ahnte nicht, was ich mir da aufgeladen hatte.) Er machte einfach alles für mich - ich war gerührt. Den Paß als Bundesbürger bekam ich auch und er stellte dafür großzügig seine Adresse zur Verfügung. Bisher hatte ich nur einen Westberliner Ausweis, war also formal gar kein Bundesbürger, weil Westberlin formal nicht dazu gehörte. Ich wußte, dass man als Bundesbürger leichter nach Ost-Berlin bzw. die DDR einreisen konnte; insofern war er wichtig für mich, damit ich meine Familie besuchen konnte, denn mit meinem jetzigen Ausweis ließen mich die Vopos (Volkspolizei) nicht durch die Mauer. (Erst kam ich nicht raus, dann nicht mehr rein - dies waren die Zeichen der Zeit.)
Um nach Hause fahren zu können, mußte ich den Wagen erst einmal fahrtüchtig machen; aber das war ich ja von meinem alten F8 im Osten gewöhnt. Christian war offenbar etwas überrascht, dass mir das überhaupt gelungen war und verlangte nun doch Geld für den Wagen.
Den TÜV müsste ich selber machen, aber das wäre ja kein Problem, versicherte er mir. Ich glaubte ihm auch das. ich hatte ja bis jetzt nicht einmal das Wort TÜV (Technischer Überwachungsverein) gehört, und war dort noch nie durchgefallen - wußte also nicht, dass er es war, der die Todesurteile über alte Autos sprach.
Als ich losfuhr zerplatzte mir bald ein Reifen, weil er zu lange ohne Luft gewesen war und an dem scharfen Knick brüchig geworden war. Der Motor tropfte überall. Jetzt sah ich auch, dass der Wagen überall schon durchgerostet war. Mit diesem Auto verlor ich all mein Geld, dass ich gerade als Unterstützung bekommen hatte. Es erging mir wie einem in einem Spielkasino. Der Anfang wird einem leicht gemacht und dann steckt man immer mehr Geld rein, weil es immer schwerer fällt, ein Ende zu machen. Die Reparaturen nahmen kein Ende. Nach einem Jahr aussichtslosem Kampf mit dem Auto und dem TÜV gab ich endlich auf und kaufte mir einen alten kaputten Mercedes für 1500,- DM, den ich repariert habe und der mich dann nie im Stich gelassen hat. Die vielen Versicherungen wieder loszuwerden, war ein anderes Problem.)
Ich nahm den Wagen auch deshalb, weil ich auf der Rückfahrt von Münster nach Berlin gleich die Hannover Messe besuchen wollte. Ich kannte ja viele Vertreter von Pumpenfirmen persönlich von früheren Leipziger Messen. Sie hatten mir immer wieder gesagt, ich müsse selber in ihre Firma kommen, damit aus meiner Sache etwas wird. Das klang logisch, dass ich meine Erfindungen in einem Betrieb selber so weit entwickle, dass sie auf den Markt gebracht werden konnten. Genau das wollte ich jetzt tun. Sie würden staunen, mich jetzt hier zu sehen, und ich würde stolz verkünden, dass ich sofort anfangen könne.
In Hannover ging ich geradewegs zum ersten Stand der Pumpenfirma, die auf meiner Liste ganz oben stand und fragte nach dem mir bekannten Vertreter, der bei jeder Messe anwesend war.
Er war aber nicht da. Er konnte auch gar nicht da sein, weil er gestorben war. Das hatte ich nicht erwartet. Das war wirklich Pech, kommt aber vor - auch bei jungen Menschen. So ging ich zum Stand der nächsten Firma auf meiner Liste und fragte nach dem mir bekannten Vertreter. Ich hatte aber wieder Pech. Er war nicht da. Er konnte auch gar nicht da sein, weil er gestorben war.
So ging ich zur nächsten Firma auf meiner Liste. Ich hatte aber Pech. Er war nicht da. Er konnte auch gar nicht da sein, weil er ebenfalls gestorben war...
Mir wurde langsam unheimlich und weiß nicht mehr, wie viele ich noch besuchte, bis ich endlich aufgab und erschreckt nach Hause fuhr. Ich fand keinen einzigen Vertreter von Firmen, mit denen ich nicht nur einmal gesprochen habe. Es waren also alle Leute auf meiner Liste gestorben. Das konnte einfach nicht wahr sein! Das waren alles Zufälle, die dummerweise alle dem SSD in die Hände spielten, versuchte ich mir einzureden. Davon wurde mir aber auch nicht besser; es waren einfach zu viele! Der SSD kann doch nicht alle ermorden, nur weil ich mehr als einmal mit ihnen gesprochen hatte?! Nein - das konnte einfach nicht wahr sein. Es sträubte sich alles in mir, dass zu akzeptieren. Ich konnte das Erlebte nicht verarbeiten; mir wurde nur schlecht dabei.
Als ich jetzt auch noch die Zonengrenze passieren mußte, wurde mir auch nicht besser, aber ich mußte hier durch, wenn ich mit dem Auto nach Berlin wollte. An einer Raststätte in der Nähe von Berlin (Michendorf) hatte ich mich außerdem mit meiner Frau verabredet. (Das war ein weiterer Grund, warum ich den Wagen doch genommen hatte.) Sie kam auch - wir hatten ein paar Minuten für uns, wenn man einmal von den vielen Stasileuten absah, die uns unauffällig umringten. Es waren so viele, dass sie sich gegenseitig auf die Füße traten. Natürlich war ich versucht, einfach jetzt mit meiner Frau zurück ins nahe gelegene Schulzendorf zu fahren, wo unser kleines Häuschen stand und zwei Kinder auf uns warteten. (Die Autobahn als "Transitweg" durfte man nicht verlassen. Eine Verletzung des Transitabkommens hätte zu meiner sofortigen Verhaftung geführt. Durch die Signale aus meinem Auto, wußte der SSD immer genau, wo ich war.) So klein wie das Haus auch war, konnten wir es uns doch gemütlich machen. Ich spürte das, als ich für einen kurzen Moment - und nach langen harten Jahren - das erste Mal wieder meine Frau in meinen Armen fühlte.
Wie schön könnte doch das Leben sein - wenn es nur die Kommunisten nicht gäbe!